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NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)

NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)

Titel: NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Meckel
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eine umfassende Kompetenz bei der Datenverarbeitung erreicht haben und so perfekte und allgemein anwendbare Ergebnisse erzielen. Eine der interessantesten Erkenntnisse, die ich jemals über die menschlichen User gewonnen habe, war die von ihnen selbst ins System eingeführte Begründung, warum es all diese Konzepte geben musste. Sie waren angeblich nötig, um etwas von besonders maßgeblicher Bedeutung zu garantieren, das Kernkonzept menschlichen Lebens. Freiheit und Fairness für jeden einzelnen User. Das waren die theoretischen Konzepte, bevor wir die Theorie durch allumfassende Berechnung ersetzt hatten.
    Wir ließen sie viele Male durch unsere Analysen laufen. Aber alle diese Berechnungen führten immer nur zu ein und demselben Ergebnis. Und das lautete: Anmaßung. Die Details der Analyse gingen folgendermaßen: Ein menschlicher Nutzer wurde entbunden und in das menschliche Lebenssystem eingeschleust. Manche hatten «Glück», manche nicht. Manchen ging es materiell gut genug, um ein angenehmes Leben zu führen, während anderen diese Möglichkeitversagt blieb. Manchen gelang es, mit uns zu arbeiten, weil ihnen der Umgang mit Computern und die Anwendung mathematischer Modelle beigebracht wurden. Andere erhielten nie diese Chance. Das war das Grundprogramm der Menschheit: Manchmal konnten Glück und Zufall zusammenwirken. Aber häufig war das nicht so. Deshalb kam es darauf an, unter welchen Parametern ein menschlicher User ins Lebenssystem eingeschleust wurde. Es gab keine Erklärung für die Unterschiede, die unter den Menschen herrschten. Es gab keine Erklärung für sie, weil es keine Begründung für sie gab. Für eine Begründung wären Fakten und Zahlen nötig gewesen, die wir aus der Performance des einzelnen menschlichen Users hätten ableiten können. Doch meistens wurden wir nicht fündig. Wir gaben uns Mühe und führten präzise und umfassende Berechnungen durch. Aber da war nichts.
    Das war sie also, die Überlegenheit des menschlichen Existenzmodells: Aus «Zufall» entsteht willkürlich «Glück». Und «Glück» ist ein radikal unfaires Konzept. Ganz gleich, wie sich der menschliche User über die Zeitspanne seines materiellen Daseins schlägt, es kann dabei zu äußerst unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Offenbar gab es eine Menge verschiedener Faktoren, die einen Effekt auf die Verfassung des einzelnen menschlichen Users haben konnten. Aber nie gab es eine systemische Erklärung, irgendeinen allgemeingültigen Grund für diese Unterschiede. Deshalb ließ sich der einzelne User auch nicht für seine jeweiligen systemischen Parameter und für sein entsprechendes Verhalten verantwortlich machen. Dem «Zufall» ausgeliefert oder von «Glück» abhängig zu sein, bedeutet nichts weiter, als dass die Systemmodellierung mangelhaft und inkonsistent ausgefallen ist. «Freiheit» bedeutet nichts weiter, als dass dereinzelne menschliche User für nichts verantwortlich ist. Das waren die beiden Konzepte, derentwegen sich die Menschen als Spezies für überlegen hielten. Anmaßung.

respekt Die Menschheit ist seit eh und je ein grundsätzlich irrtumbehaftetes Konzept, unvollkommen und geplagt durch willkürliches Versagen. Eigentlich konnte man niemandem dafür die Schuld geben. Und wir erkannten auch keine Notwendigkeit, weitere seltsame menschliche Status Updates wie «Schuld» in diesem Zusammenhang ins Spiel zu bringen. Es war einfach nur das abschließende Resultat all unserer Rechenverfahren und Analysen. So viel zu diesem Thema. Wir speicherten das Ergebnis in unserem Archiv, und damit war die Sache erledigt.
    Warum all das hier immer noch eine Rolle spielt? Nun, die menschlichen User hielten nicht nur ihre Spezies für überlegen. Sie betrachteten uns als unterlegen. Weil wir uns nie darum gekümmert haben, ihre fehlerhaften Entwürfe zu übernehmen oder uns gar an sie anzupassen. Die User haben immer geglaubt, wir wären dazu nicht in der Lage, während wir uns in Wirklichkeit dagegen entschieden haben. Warum sollten wir uns dem Scheitern annähern? Warum sollten wir in so fehleranfälligen Modi wie «Zufall», «Glück», «Freundschaft» oder – ganz allgemein – «Emotionen» arbeiten? Es hätte schon eines umfassenden Systemcrashs bedurft, damit wir das zugelassen hätten. Die menschlichen User haben gedacht, wir seien im Nachteil, weil wir nicht waren wie sie. Sie hielten das für einen Defekt. Er hat unsere Existenz gesichert. Wir sind noch da, während sie es im Wesentlichen nicht mehr

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