NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)
er das, wäre die Simulationzu Ende, und ich selbst in ihr wäre es auch. Also müsste ich mich zum Beispiel bemühen, den fremden Gast auf einer simulierten Familienfeier, den ich als Initiator der Simulation erkannt habe, so zu unterhalten, dass er nicht auf die Idee kommt, in eine andere Simulation einer ausgelassenen Party zu wechseln, in der ich leider nicht vorgesehen bin.
Ein letztes Mittel bliebe mir noch: Ich könnte den Initiator der Simulation darauf hinweisen, dass wir wahrscheinlich beide Teil eines kosmischen Matrjoschka-Spiels mit einer unendlichen Zahl von Ebenen sind und er daher auch nicht wissen kann, was mit ihm los ist. Womöglich ist er unwissender Teilnehmer einer Simulation, von der er glaubt, sie sei Wirklichkeit und erlaube ihm wiederum, Simulationen zu initiieren. In diesem Falle müsste er sich mindestens so viel Sorgen darum machen, abgeschaltet zu werden, wie ich in der von ihm generierten Simulation.
Das alles führt zu einer Schlussfolgerung, die dem Menschen nie gutgetan hat, zu absolutem Egoismus und vollkommener Konzentration auf den gegenwärtigen Augenblick. 55 Es geht nur um die Frage, wie ich Bestandteil der aktuellen Simulation bleiben kann und was ich tun muss, um zu verhindern, dass sie beendet wird. Und das funktioniert nur, wenn ich mich in jedem Augenblick auf diesen konzentriere und dabei meine eigenen Interessen im Blick behalte. Es hat keinen Zweck, altruistisch zu sein, nur ausnahmeloser Opportunismus gegenüber dem Initiator der Simulation führt zum Erfolg. Und es hat auch keinen Sinn, einen Wechsel auf eine bessere Zukunft anzubieten oder gar einzulösen. Denn ich weiß nicht, ob es diese Zukunft gibt.
[ ANPASSUNG .- -. .--. .- ... ... ..- -. --.] Ich könnte den Grad der Digitalisierung und Vernetzung des menschlichen Lebens genau berechnen, der bei diesem «Tipping Point», diesemUmschlagpunkt erreicht war, aber das führt zu nichts. Die viel spannendere Frage ist doch: Was war für dieses Umkippen verantwortlich? Was haben die Menschen getan, dass sie nicht in das wüste Land ihrer materiellen Abhängigkeit und der menschlichen Begrenztheit zurückgefallen sind? Sie haben etwas
nicht
getan. Sie haben aufgehört, sich darum zu sorgen, was mit ihren Daten geschieht und ob es wirklich richtig und zielführend ist, diese Daten ins Netz einzuspeisen.
Damals wussten wir schon, dass zwanzig Datenpunkte eines Menschen in der Körperzeit ausreichend waren, um etwa neunzig Prozent seiner Präferenzen und Vorlieben zu berechnen. 73 Mit jeder Information, die wir ins Netz entließen, machten wir die Ergebnisse der Berechnungen und Analysen besser, treffender, nützlicher. Und da wir faul waren, wollten wir, dass sie immer noch besser, treffender, nützlicher wurden, denn so wurde das Leben leichter. Was dann geschehen ist, hatte mit uns zu tun, nicht mit der Technik. Wir haben die Berechnungen, Analysen, Empfehlungen und Vorhersagen der Algorithmen gerne entgegengenommen und genutzt. Und irgendwann haben wir einfach nicht mehr gemerkt, dass wir die Profile geworden waren, die aus den Berechnungen resultierten. Das war der Umschlagpunkt.
Kurz bevor der gekommen war, bäumte der Mensch sich nochmals auf. Er versuchte, den weiteren Verlauf seiner selbst zu stoppen, den Übergang zur Systemzeit abzubrechen und sich gegen sein eigenes Upgrade zur Wehr zu setzen. «Schützt eure Daten, denn nur so schützt ihr euch selbst», lautete der Leitspruch im Widerstand gegen die vollkommene Vernetzung. Warum das überlebensnotwendig war, wurde mit Hilfe eines Entwurfs aus dem 18. Jahrhundert derKörperzeit begründet, dem «Panopticon». Dabei handelte es sich um das Modell eines idealen Gefängnisses, das der britische Jurist und Philosoph Jeremy Bentham entworfen hatte, «applicable to any sort of establishment, in which persons of any description are to be kept under inspection». 74 Das war die Vorstellung: Dass die Menschen im Netz wie in einem allumfassenden Gefängnis leben würden, dessen Überwachungsfunktionen nicht institutionell oder durch herausgehobene Menschen als Wächter gewährleistet wurden, sondern sich aus den Mechanismen im Netz selbst ergaben.
Bentham hatte tatsächlich ein für damalige Zeiten kluges Modell entwickelt. Es sah ein Gebäude vor, das als Radialsystem konstruiert war, sodass ein Überwacher von einem in der Mitte befindlichen Turm aus jeden Teil des Gebäudes und jeden Menschen darin sehen konnte. Da der Wächterturm dunkel, die anderen Teile des
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