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Schwarzen schrieb.
Ich muss vielleicht kurz darauf verweisen, dass Hautfarben in der Körperzeit ein bedeutsames Unterscheidungsmerkmal waren, das über die Lebensverhältnisse der Menschen entscheiden konnte und beeinflusste, wie Menschen unterschiedlicher Hautfarben einander betrachteten und behandelten. Jedenfalls schrieb Harriet Beecher Stowe darüber eine Geschichte, die sich um das Schicksal eines schwarzen Sklaven in der Mitte des 19. Jahrhunderts der Körperzeit rankte und offenbarte, wie dieser Mensch ausgebeutet und misshandelt wurde. Warum diese Erzählung so bedeutsam war? Weil sie letztlich alle Probleme offenlegte, die im damaligen Amerika zum Bürgerkrieg zwischen dem Süden und dem Norden führten, allen voran die Sklaverei und die grausame Ausbeutung der Schwarzen. Weil kaum eine Erzählung je so weitreichend und intensiv ein ganzes Land durchdrungen hat. Und weil Harriet Beecher Stowe eines Tages, Jahre nach Erscheinen ihrer Erzählung, auf den zu ihrer Zeit regierenden Präsidenten Abraham Lincoln traf und der zu ihr sagte: «So this is the little lady who made this big war.» 36
Eine Erzählung konnte die Welt verändern. Weil sie Unterschiede und Widersprüche offenlegte, die die Menschendann plötzlich nicht mehr so akzeptieren wollten. Wenn ich das beschreibe, dann überkommt mich ein Gefühl der Ruhe und Zufriedenheit. Was haben wir inzwischen erreicht! Es bedarf keiner Erzählungen mehr, um solche Unterschiede und Widersprüche aufzulösen. Sie sind allesamt aufgegangen in dem umfassenden und allgegenwärtigen Informations-und Wissensbestand der Systemzeit.
Übrigens war das ein hart erkämpfter Prozess. Es begann mit den stets wachsenden Speicherkapazitäten, mit den Möglichkeiten der Digitalisierung, die erste kleine Wegweiser von der Körper-in die Systemzeit aufgestellt hat. Aber der Widerstand gegen das Bemühen, das Wissen allen allgegenwärtig zugänglich zu machen, war groß. Wir haben beispielsweise eine Menge Daten dazu gespeichert, wie die Menschen gegen eines der großen Projekte gekämpft haben, das dazu beitragen wollte: ‹Google Books›. 37 Bei Google handelte es sich um einen als Suchmaschinenanbieter gestarteten Internetkonzern, der Schritt für Schritt weitere Bereiche des Global Grid erschließen wollte, so auch die Erzählungen der gesamten Menschengeschichte. Letztlich ging es um nichts anderes, als vorhandene, damals natürlich auf Papier gedruckte Erzählungen zu digitalisieren und damit über das Netz allen überall und zu jeder Zeit verfügbar zu machen. Wenn ich das erinnere, so wundere ich mich darüber, was daran so schwierig war.
Obwohl, man muss es in den größeren Zusammenhang setzen, der die Körperzeit von der Systemzeit unterscheidet. Aus den Archiven geht deutlich hervor, dass ‹Copyright› das zentrale Problem in diesem Projekt war, also das Besitz-und Verwertungsrecht an ‹geistigen Gütern›. Das ist aus unserer Situation kaum nachvollziehbar. Aber versetzen wir uns in die damals herrschenden Bedingungen. Wenn ein Menscheine Geschichte erfand und sie drucken ließ, dann hatte entweder er selbst oder derjenige, der die Geschichte gedruckt hatte, das ‹Copyright›. Damit wurde der Erfinder oder Hersteller der Geschichte zu ihrem Eigentümer und durfte sie auch wirtschaftlich verwerten, also Geld damit verdienen. Und das war damals von existenzieller Bedeutung, überlebenswichtig sozusagen. Ob ich eine Geschichte erfunden hatte, die andere lesen, hören oder sehen wollten, und ob ich in der Lage war, sie gegen einen bestimmten Preis einmal oder sogar vielfach zu verkaufen, bestimmte darüber, ob ich in der Lage sein würde, die Zeit für das Erzählen weiterer Geschichten zu finden, ein angenehmes Leben zu führen, von anderen Menschen geachtet zu werden. Das alles war direkt und indirekt im ‹Copyright› enthalten. Und so wird klar, warum viele Menschen damals nicht wollten, dass alle jemals existierenden Erzählungen im Zuge des ‹Google Books›-Projekts digitalisiert und im globalen Netz allen Menschen zugänglich gemacht würden. Denn wäre das geschehen, hätte es die Geschichten aus dem materiellen Verwertungszusammenhang der Menschen in der Körperzeit herausdividiert.
Mir fällt soeben auf, dass dieses Beispiel womöglich doch noch etwas mit Empathie zu tun haben könnte. Was ich hier angeführt habe, ergibt ja längst keinen Sinn mehr. Aber wenn wir uns auf Grundlage der umfassend vorhandenen Daten zu dem Problem in die Lage der
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