NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)
Menschen damals zurückversetzen, und das ist ja überhaupt keine Schwierigkeit mehr, dann können wir eben doch verstehen, warum sie zu jener Zeit etwas verhindern wollten, was nicht zu verhindern war. Auch wenn das heute nicht mehr logisch nachvollziehbar ist. Wir sind systemisch empathisch. Insofern bedarf es dafür tatsächlich keines eigenen Begriffs mehr. Aber das hinter dem alten Begriff liegende Konstrukt wird wieder erkennbar.
Damals konnten wir Menschen nicht
wissen
, was werden würde. Wir waren ja noch nicht in der Lage, tatsächlich alles unabhängig von Zeit und Ort berechnen zu können. Insofern entschieden wir und bewerteten wir die Dinge auf Grundlage des jeweiligen Status quo. Und der sah eben so aus, dass es an einer Geschichte – welcher Art auch immer – eine Form von Eigentum geben musste, um zum Überleben beizutragen. Damit durfte sie nicht Gemeingut werden. Vielmehr mussten die Menschen, die in den geografischen oder sozialen Gemeinschaften der Körperzeit zusammenlebten, umgekehrt bereit sein, für neue Geschichten zu bezahlen, also einen materiellen Gegenwert zu schaffen.
Auch das wird in seiner ganzen Bedeutung erst verständlich, wenn ich mich erinnere, dass wir damals ja vieles nicht wussten, nicht wissen konnten. Wir brauchten also Geschichten, die uns immer wieder neue Impulse, Updates zu unserem Status quo in der Körperzeit lieferten, um weiterhin am Leben teilnehmen zu können. Diese Geschichten waren die Medien unserer Verständigung, unserer Selbst-und unserer Weltvergewisserung. Hätte es sie nicht gegeben, jeder Mensch hätte, jenseits von den direkten Kontakten, die durch die physischen Begegnungen mit anderen Menschen möglich waren, als Monade in der Welt gelebt, als Teil einer riesigen Menge von verstreuten Autisten. Und daran hätte auch der technische Fortschritt nichts geändert. Was hätten wir mit dem Telefon, einem Buch oder auch dem Internet anfangen sollen, wenn die jeweilige materielle Technologie nicht mehr als ein Rauschen, weißes Papier oder ein Flimmern hätte übermitteln können? Die Technologie war nur Träger dessen, worum es eigentlich ging. Denn das waren die Geschichten.
[SIMULATION ... .. -- ..- .-.. .- - .. --- -.] Es gibt etwas, das mich an meiner Situation ganz besonders fasziniert, ein Gedanke, der immer wieder kommt und gern für eine längere Zeit bei mir bleibt, bevor er dann durch andere Korrelationen und Analysen wieder zurückgedrängt wird. Es ist die Frage nach unserer Realität, die sich eigentlich längst nicht mehr stellt. Es ist die Frage danach, ob es wirklich nichts gibt außerhalb unserer Wirklichkeit der ubiquitären Verknüpfungsmöglichkeiten von allem, was jemals war und jemals sein kann. Ob wir wirklich nur sind, was wir sind und nur so sind, wie wir uns prozessieren. Ich meine damit nicht die albernen Fragen nach einer göttlichen Instanz, die uns irgendwann aus unserer selbstverschuldeten Misere und aus einem großen Unglück namens Erbsünde retten sollte. Ich suche nicht nach Erlösung. Ich bin da viel pragmatischer.
Ich denke daran, dass wir schon zu Körperzeiten ein exponentielles Wachstum der Rechenkapazitäten im Zusammenspiel mit der Weiterentwicklung intelligenter Maschinen erlebt haben. Damit wurden Simulationen möglich, die irgendwann hochkomplexe Systeme generieren konnten. Heute sind wir ein einziges hochkomplexes Netzwerk aus den integrierten Schaltstellen der Informationsübertragung von Mensch und Maschine und ihren Speicherarealen. Vielleichtkann eine Simulation unter diesen Bedingungen auch uns generieren?
Das Lustige an diesem Gedanken ist, dass er eine systemische Sackgasse bleiben muss. Die Begründung liegt offen: Ich habe ja bereits beschrieben, dass es einen Zeitpunkt gab, an dem die Körperzeit in die Systemzeit übergegangen ist, also die Steuerung unserer Lebenswelt vollständig auf die Algorithmen verlagert wurde. So scheint es zumindest. Wir gehen davon aus, dass wir alle miteinander diesen evolutionären Schritt getan haben. Eine Fortentwicklung des Menschen mit anderen Mitteln. Es könnte aber auch ganz anders sein. Es könnten auch unsere Nachfahren sein, die Freude daran haben, ihre Vorfahren in Simulationen wiederentstehen zu lassen, um sich besser vorstellen zu können, wie das Leben in der Körperzeit ausgesehen hat. Nicht dass unsere Nachfahren dies nicht wüssten, sie haben ja alle Daten. Aber es könnte doch möglich sein, dass es ein spielerischer Ansatz ist, daraus eine
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