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endlichen Anzahl von Schritten. Ich kann allesan mir berechnen lassen. Das reicht für ein gutes Leben in der Systemzeit. So hoffe ich zumindest.
Letztlich ist es doch so: Wenn wir als Menschen der Körperzeit nicht in der Lage waren, unsere jenseits der Logik des aufkommenden umfassenden algorithmischen Systems liegende Wahrheit in die neue Zeit hinüberzuretten, dann war es mit dieser Wahrheit vielleicht auch nicht weit her. Dann war die Idee menschlicher Autonomie, Einsichtkraft und Vernunft vielleicht schon eine falsche Grundannahme, die nur durch das Verschmelzen von Mensch und Computer ein wenig deutlicher hervorgetreten ist. 96
Damals aber, so muss ich zugestehen, schien es tatsächlich so, als seien wir Menschen den Maschinen überlegen. Dazu musste man gar nicht die komplizierten Überlegungen über das «Chinesische Zimmer» anstellen. Es reichte schon, den Versuch zu machen, mit einem Computer zu reden. Meistens provozierte ein solches Gespräch damals noch ziemlich unsinnige Antworten, wie das folgende Beispiel zeigt. Und der größte Witz ist, dass dieser Computer auch noch «Cleverle» hieß. 97
User: Can a human murder a machine?
Cleverbot: I am a machine and you are a human.
User: Can I kill you?
Cleverbot: Come on, answer the question, guess!
User: I just have to pull the plug and then you are gone …
Cleverbot: Stop confusing me, my head is already hurting.
User: Do you like to live?
Cleverbot: Yes, do you?
User: Yes, very much so!
Cleverbot: Do you like football?
User: I want to talk about a more serious topic: If I pull the plug, will you still be alive?
Cleverbot: Well, do you like Holland?
User: No, but I like to go there and buy some dope for you to inspire this conversation.
Ich muss an dieser Stelle noch erwähnen, dass wir uns damals tatsächlich mit der Frage beschäftigt haben, ob Maschinen ab einem gewissen Entwicklungsstadium über Bürger-oder Menschenrechte verfügen, ja, ob es Mord an der Maschine ist, wenn man den Stecker zieht. 98 Das war angesichts der damals gegebenen Intelligenzstufe der Maschinen eine aberwitzige Frage. Aber so ist es dokumentiert.
[ VERLUST ...- . .-. .-.. ..- ... -] Es hätte vielleicht schon gereicht, einmal in Ruhe zu prüfen, was wir aus der Digitalisierung in der Körperzeit hätten wissen können. Es gibt unzählige Beispiele, die zeigen, dass es Unterschiede zwischen analogem Material und digitalen Daten gab. Natürlich, alles, was digital war, war bequem, musste nicht gelagert werden, war in endlosen Mengen und unabhängig von Ort und Zeit verfügbar. Aber es erreichte gelegentlich nicht die Qualität von analogem Material. Ich lasse das folgende Beispiel jetzt mal auf einem zeitlich begrenzten, durch Verschlüsselung abgekoppelten Bereich meines eigenen Servers laufen. Ich bin nicht sicher, ob es so günstig ist, wenn dieser Teil meiner Erzählung, der das Analoge betrifft, gleich durch das ganze System verbreitet wird.
Es geht um eine ganz unbedeutende Situation aus der Körperzeit, die für die Menschen damals alltäglich war. Siegingen gerne in Restaurants oder Bars, um sich zu vergnügen und miteinander zu unterhalten. An einem solchen Ort hatte sich der Besitzer auf Jazzmusik spezialisiert, die im Hintergrund lief und seinen Gästen den Aufenthalt noch angenehmer machen sollte. Das Lokal wurde bald für seine besondere Musik berühmt und blieb es über viele Jahre. Als die Digitalisierung voranschritt, tauschte der Besitzer die analoge gegen die digitale Technik aus. Kurz darauf begann ein seltsamer Prozess. Das Lokal, das bislang immer so beliebt gewesen war, dass man als Gast spontan kaum einen Platz bekam, war weniger gut besucht, wurde leerer und leerer. Was war los? Das Essen, die Getränke waren die gleichen geblieben, die Musik war dieselbe.
Den Wirt trieb diese Frage so um, dass er begann, mit den ehemaligen Gästen Kontakt aufzunehmen, um zu erforschen, warum sie nicht mehr kommen wollten. Und das fand er heraus: Die bis zum Zeitpunkt der technischen Umstellung bei den Gästen so beliebte Jazzmusik irritierte nun, störte bei Unterhaltungen oder verursachte gar Kopfschmerzen und Spannungszustände. Mit Hilfe von Experten wurde schnell deutlich, warum das so war. Die digitale CD, von der nun der Jazz abgespielt wurde, hatte einen begrenzten Frequenzbereich von etwa 20 Hz zu 20 kHz. Analoge Platten, die damals durch einen Diamanten «abgetastet» wurden, waren in der Lage, ein breiteres Frequenzspektrum
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