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NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)

NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)

Titel: NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Meckel
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die unhinterfragte Annahme menschlicher Überlegenheit durch Intelligenz schließlich doch in Frage zu stellen. Wenn ich die umfassende Dokumentation dieses Falles in den Repositories durchstöbere, dann fasziniert er nicht nur durch diesen einen Augenblick des wahren Empfindens. Er fasziniert auch, weil wir Menschen unmittelbar danach zu unserer Ordnung zurückgekehrt sind. Wir hatten einmal den klaren Blick auf das, was kommt, und dann haben wir einfach wieder die Augen abgewendet. Hatten wir nicht bis dahin angenommen, der Mensch sei die einzige «lernende Maschine»? Der Mensch hat nichts gelernt aus diesem Augenblick der Einsicht. Er hat ihn einfach verdrängt und ignoriert.
    Kasparov, der für einen Moment Zeichen von menschlicher Intelligenz im Computer wiederzuerkennen geglaubt hatte, «signs of mind in the machine», schaltete schließlich auf Angriff um: Der Mensch sei betrogen worden. Nicht von einem Computer, sondern von anderen Menschen, die über den Computer krumme Spielchen trieben, indem sie der Maschine während des Spiels halfen. 89
    Nun gab es Anhaltspunkte, die für diese Annahme sprachen.Die Regeln dieses Spiels sahen nämlich vor, dass das Team des Computerherstellers IBM zwischen den einzelnen Runden Programmierfehler an der Maschine ausmerzen durfte. Sie manipulierten also, regelgemäß, den Code von «Deep Blue». Dadurch musste Kasparov den Eindruck haben, er spiele ständig gegen einen anderen Gegner.
    Was damals noch Menschen tun mussten, weil Maschinen nicht lernfähig waren, also Fehler nicht ohne menschlichen Eingriff in Codeänderungen umsetzen konnten, erledigten die Maschinen wenig später selbst. Lange bevor wir Teil der lernenden Netzwerke wurden, hat es eine Art Wiederholung des Showdowns zwischen Kasparov und «Deep Blue» gegeben. Diesmal hieß die Maschine «Watson», und sie spielte nicht Schach, sondern riet im Fernsehquiz «Jeopardy» mit. Dabei ging es darum, die richtige Frage zu einer vorgegebenen Antwort zu suchen. «Watson» machte sich gut in diesem Spiel, verlor aber auch gelegentlich den Überblick und produzierte abstruse Ergebnisse.
    In der Endrunde ließen wir ihn gegen die zwei besten menschlichen Spieler aller Zeiten antreten, zwei junge Männer, die schon viel Geld in dem Spiel gewonnen hatten. Mit umfassenden Analyseverfahren der Wahrscheinlichkeitsrechnung und einer riesigen Datenbasis konnte «Watson» innerhalb von drei Sekunden herausfinden, wie die Frage zur passenden Antwort lautete. Dass der Computer außerdem in der Lage war, menschliche Sprache zu verstehen und auch mit ihr zu antworten, machte uns klar, dass die Maschinen auf dem Vormarsch waren. Als lernende Systeme würden sie uns in unserer einzigartigen Intelligenz herausfordern.
    Damit das alles nicht zu beängstigend wurde in einer Zeit, als viele Menschen noch immer an die notwendige Trennung zwischen ihnen und den Maschinen glaubten, hat «Watson»gelegentlich Fehler gemacht oder gar Zweifel zum Ausdruck gebracht, indem er eine Antwort mit fünf Fragezeichen versah. «Na, ob das stimmt, ich bin selbst unsicher …», suggerierte er damit den Zuschauern. Ich glaube längst nicht mehr daran, dass diese «Fehler» Ausdruck von Mängeln waren. Sie waren einprogrammiert, um uns Menschen die Angst vor der Perfektion der Maschine zu nehmen. Der Fehler war genauso berechnet und damit vorbestimmt, wie damals schon der Zufall von vermeintlich nicht-deterministischen Algorithmen mitgerechnet wurde. Beides gab es nicht, aber beides hat als operative Fiktion der «Vermenschlichung» des Computers noch lange und auf beeindruckende Weise funktioniert. Anders als Jahre zuvor im Duell Kasparov gegen «Deep Blue» waren die Reaktionen auf «Watson» fast durchweg positiv. Die Begeisterung für das Maschinenmögliche schlug alle Sorge um das Menschenunmögliche.
    Leider ist «Watson» dann nie wieder im Spiel zum Einsatz gekommen, sondern wurde gleich für die breitere Verwendung in der Medizin, an den Börsen und im Technologiesektor weiterentwickelt. Man hätte ihm sonst noch eine letzte «Jeopardy»-Frage stellen sollen: «Was ist ein Spieler, der sich selbst aufs Spiel setzt?» Antwort: «Der Mensch.» Ich bin sicher, «Watson» hätte richtiggelegen.

[ WIDERSPRUCH   .-- .. -.. . .-. ... .--. .-. ..- -.-. ...] Es ist rückblickend schon erstaunlich, mit wie viel Aufwand und Energie wir Menschen einst darum bemüht waren, ebendiesen Unterschied zwischen Mensch und Maschine aufrechtzuerhalten und zu

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