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dem Offensichtlichen: Wenn nicht einmal der Mensch im «Chinesischen Zimmer» verstehen kann, was er da tut und welchen Sinn die Botschaften haben, die er bekommt und die er selbst kreiert, warum sollte eine Maschine das können? Das Experiment beweist lediglich, dass es Situationen geben kann, in denen weder Maschine noch Mensch verstehen. Aber es beweist nicht die Überlegenheit des Menschen, der mehr versteht als die Maschine. 91
Was geschieht nun in diesem Raum? Der Philosoph bekommt ein Kärtchen, auf dem in chinesischen Schriftzeichen die Frage nach seiner Lieblingsfarbe steht. Tatsächlich könnte er sie als Mensch im chinesischen Zimmer gar nicht beantworten, nicht einmal mit Hilfe seines Handbuchs. Er könnte auf eine Rechenaufgabe antworten und die richtige Lösung in chinesischen Schriftzeichen nach draußen reichen, weil diese Antwort gänzlich auf Struktur und Logik beruht. Eins und eins ergibt zwei (wobei ich aus den Datenspeichern eineReihe von Beispielen hochladen kann, bei denen in menschlicher Vorstellung eins und eins immer noch eins ist, aber das nur als Randbemerkung).
Um die Frage nach der Lieblingsfarbe zu beantworten, muss der Philosoph aber gewisse Vorlieben kennen. Bei ihm selbst mag das noch klappen. Geht es um die Lieblingsfarbe eines anderen Menschen, wird er die Frage vermutlich nicht mit Hilfe des Handbuchs beantworten können. Er müsste mehr verstehen als die Regeln zur Zusammensetzung der Zeichen. Die Maschine hingegen hätte mit Hilfe von Algorithmen und entsprechenden Rechenkapazitäten ausrechnen können, welche Lieblingsfarbe in Rede steht, und zwar für jeden x-beliebigen Menschen in der Welt. Sie hätte einfach alle zur Verfügung stehenden Daten, Profile und Verbindungen geprüft und daraus mit hoher Wahrscheinlichkeit das richtige Ergebnis errechnet. Die Maschine hätte manche Fragen also schon unter den Bedingungen des «Chinesischen Zimmers» besser beantworten können, als der Mensch es gekonnt hätte.
Nun muss ich zugestehen, dass zu Lebzeiten Searles, als er im Jahre 1990 der Körperzeit das «Chinesische Zimmer» erfand, die Möglichkeiten des Computers noch nicht so weit entwickelt waren wie später. Aber er hätte dennoch verstehen können, dass sein menschliches Verstehen begrenzt ist. Dabei ist es notwendig nachzuvollziehen, dass wir Menschen früher tatsächlich in mancherlei Hinsicht nicht über uns hinausschauen konnten, obwohl das doch zu unseren vermeintlich herausragenden Fähigkeiten gehörte – die Selbstreflexion. Sogar die Menschen, die sich mit Leidenschaft und Kenntnis der Entwicklung der Maschinen gewidmet haben, waren nicht in der Lage vorherzusehen, wie sich die Leistungen der Maschinen künftig entwickeln würden. «The datafades here», lesen wir in Studien aus der Körperzeit zur Entwicklung des Computers. «Research careers are too short, and computer memories too small […].» 92 Der erste Halbsatz hat gestimmt.
Auch andere Versuche, die Überlegenheit des menschlichen Geistes über den Computer zu beweisen, haben letztlich nicht zu überzeugenden Ergebnissen geführt. So findet sich in unseren Speichern immer wieder das Gödel’sche Unvollständigkeitstheorem 93 , das zu Körperzeiten wohl das wichtigste Theorem der Mathematik war. Kurt Gödel sagte damit, dass es in einem mathematischen System, das komplex genug ist, die natürlichen Zahlen hervorzubringen, unvermeidliche Sätze gibt, die sich weder beweisen noch widerlegen lassen. Das bedeutete, es gibt mathematische Sätze, die nicht durch einen Algorithmus entschieden werden können, weil dafür eine unendliche Anzahl von Schritten erforderlich wäre. 94
Nehmen wir einmal den Satz ‹Ich bin nicht beweisbar›. Er war auch als Satz nicht beweisbar, weil seine ihm zugesprochene Wahrheit außerhalb des Systems lag, das seine Widerspruchsfreiheit beweisen konnte. Jedes mächtige System ist entweder widersprüchlich oder unvollständig. So auch der Computer. Der Mensch hingegen war in der Lage, ein unlösbares Problem zu lösen. Er konnte sagen ‹Ich bin nicht beweisbar› und hatte damit eine wahre Aussage getroffen. Deshalb war er dem Computer überlegen. 95 Ich glaube übrigens, dass diese Zeiten in jeder Hinsicht vorbei sind. Ich kann jetzt nicht mehr sagen ‹Ich bin nicht beweisbar›, zumindest gibt es keinerlei Verbindung zwischen diesem Satz und einer Wahrheit außerhalb des Systems, denn alles ist ja Teil des Systems – ein System der unendlichen Möglichkeiten einer
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