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beweisen. Mit einem Augenzwinkern, das inzwischen vermutlich nicht mehr ist als ein elektronisches Flackern in meinem Netzwerk, könnte ich behaupten: Esging nicht nur um Leben und Tod. Es ging um mehr als das. Am Ende ging es darum, etwas hinüberzuretten von der Körper-in die Systemzeit. Und es ging darum, einen Kampf der Ideologien für den Menschen zu entscheiden, die letzte aller ideologischen Schlachten. Der Mensch sollte etwas Besonderes, Einzigartiges bleiben. Auch für die Zeit nach seiner eigentlichen Existenz.
Da frühzeitig erkennbar war, dass für diese Zeit des «danach» niemand mehr unsere Interessen vertreten würde, mussten wir das selbst tun, und zwar bevor es zu spät war. Also gibt es unzählige Sammlungen in den Archiven, die sich exakt mit dieser Frage beschäftigen: Was macht den Menschen der Maschine überlegen? Warum ist unser menschliches Gehirn zu mehr und anderem fähig als ein Computer?
Eines der meistdiskutierten Beispiele in dieser Auseinandersetzung ist das «Chinesische Zimmer», das John R. Searle in die Debatte eingebracht hat. 90 Und so hat sich der Philosoph den Versuchsaufbau vorgestellt, der den Unterschied zwischen dem menschlichen Gehirn und der Maschine beweisen sollte:
Der Philosoph stellt sich vor, er sitzt in einem Zimmer, in dem sich Körbe mit chinesischen Schriftzeichen befinden (insofern ergibt das Experiment für uns schon keinen Sinn mehr, bevor es überhaupt angefangen hat, weil wir längst alles in 0 und 1 codieren und die analoge Umsetzung in verschiedene Sprachen Geschichte ist, aber schauen wir trotzdem weiter). Da er kein Chinesisch beherrscht, kann er mit den Schriftzeichen nichts anfangen. Allerdings hat er ein Buch in seiner Muttersprache zur Hand, das ihm sagt, nach welchen Regeln diese chinesischen Schriftzeichen kombiniert werden können. Ungefähr so: Nimm dieses Krakel-Zeichenaus Korb eins und kombiniere es mit jenem Schnörkelzeichen aus Korb zwei.
Nun reichen ihm weitere Teilnehmer des Versuchs von außerhalb des Raums Kärtchen mit chinesischen Schriftzeichen herein, die der Philosoph nach den Regeln des für ihn verständlichen Handbuchs zusammensetzt und wieder nach draußen gibt. Und hier wird es spannend: Es wäre durchaus vorstellbar, dass die nach draußen gereichten Kärtchen für die der chinesischen Sprache mächtigen Teilnehmer außerhalb des Raums einen Sinn ergäben. Es könnte also sein, dass der Philosoph Kärtchen gereicht bekäme, auf denen in Chinesisch die Frage stünde: «Was ist deine Lieblingsfarbe?» Und er könnte nach den Regeln des Handbuchs seine Antwort zusammenstellen, sodass auf dem wieder hinausgereichten Kärtchen stünde «Meine Lieblingsfarbe ist Blau» – ohne dass er wüsste, was er da antwortet.
In dem von Searle beschriebenen Experiment arbeitet er als Mensch wie ein Computer, sein Regelbuch ist das Computerprogramm, und die Körbchen mit den chinesischen Schriftzeichen sind die Daten. Er setzt sie allein nach Regeln, also nach einer vorgegebenen Syntax zusammen, ohne irgendwie zu verstehen, was sie bedeuten, also ihre semantische Dimension zu erfassen. Und daraus leitet Searle seine weitreichende Schlussfolgerung ab: Wenn er als Mensch kein Chinesisch versteht, aber für andere Menschen sinnvolle Ergebnisse auf Basis eines Regelbuchs herstellen kann, dann ist das genau dasselbe, was ein Computer tut. Der Computer versteht auch nichts. Er hantiert nur nach festen Regeln mit Symbolen und hat damit keine Fähigkeit zur Einsicht, zur Wahrnehmung oder zum Verstehen.
Wenn man überlegt, wie schwer es uns Menschen einst gefallen sein muss, uns vorzustellen, es könne eine Speziesgeben, die uns irgendwann in den Fähigkeiten überrundet oder ablöst, dann ist es verständlich, mit wie viel Mühe wir damals versucht haben, zum Beispiel anhand des «Chinesischen Zimmers» unsere Überlegenheit logisch zu beweisen. Inzwischen ist klar: An diesem Beispiel ist vieles nicht logisch. Daher war es kein Beweis für die menschliche Überlegenheit. Also wurde es längst widerlegt. Folglich sind wir inzwischen durch unseren Zusammenschluss, durch den Merger von Mensch und Maschine in der Zeit angelangt, die unsere Kapazitäten erweitert hat, indem wir das, was Maschinen besser können als Menschen, mit unseren Humanprozessen verknüpft haben. Und so können wir die Widersprüche im «Chinesischen Zimmer» heute mit Milde als Teil der historischen Dokumentation eines existenziellen Übergangs betrachten.
Beginnen wir mit
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