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Nexus

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Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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Ellbogen ein, machte den Hals steif und marschierte zur Tür und wieder zurück. «Sie werden mich weit tragen, diese Beine. Ich brauche kein Neunzig- oder Hundertkilometertempo.»
    «Sie scheinen in guter Stimmung zu sein. Bald können Sie in den Straßen von Paris Spazierengehen.»
    «Von Paris, Wien, Prag, Budapest, vielleicht sogar Warschau, Moskau, Odessa. Wer weiß?»
    «Miller, ich beneide Sie.»
    Kurze Pause.
    «Hören Sie mal, warum besuchen Sie nicht Maxim Gorki, wenn Sie drüben sind?»
    «Lebt Gorki noch?»
    «Sicher. Und ich sage Ihnen noch einen anderen, den Sie besuchen können, obwohl er vielleicht schon tot ist.»
    «Wer ist das?»
    «Henri Barbusse.»
    «Das möchte ich gern Reb, aber Sie kennen mich ... ich bin schüchtern. Welche Entschuldigung hätte ich übrigens, wenn ich sie so überfiele?»
    «Entschuldigung?» rief er. «Die beiden würden sich freuen, Sie kennenzulernen.»
    «Reb, Sie haben eine übertrieben hohe Meinung von mir.»
    «Unsinn! Sie würden Sie mit offenen Armen aufnehmen.»
    «Okay, ich werde es mir hinter die Ohren schreiben. Ich muß jetzt '"hoch weitergehen. Muß den Toten die letzte Ehre erweisen. Auf Wiedersehen.» Ein paar Häuser entfernt schmetterte ein Radio. Es war eine Sendung des Werbefunks, in der Tischtücher mit dem «Abendmahl» angepriesen wurden - das Paar für nur zwei Dollar.
    Mein Weg führte mich durch die Myrtle Avenue. Die öde, langweilige Myrtle Avenue, die aussah, als wäre sie mit Flohstichen bedeckt. Durch die eisernen Pfeiler und VerbindungsStangen der Hochbahn, die sie in zwei Teile schnitt, schössen goldene Lichtpfeile. Ich war kein Gefangener mehr, die Straße nahm ein anderes Aussehen an. Ich war jetzt Tourist, hatte eine Menge Zeit, und meine Augen waren auf alles neugierig. Der böse Feind war weg, der mit dem ganzen Gewicht seiner Schwerfälligkeit das Steuerbord niedergedrückt hatte. Vor der Bäckerei, wo O'Mara und ich einst Eiersuppe auslöffelten, blieb ich einen Augenblick stehen und sah mir die Schaufenster an. Nur einige alte Sand- und Apfelkuchen standen im Fenster, die wie einst von demselben alten Pergamentpapier bedeckt waren, um sie vor Licht und Fliegen zu schützen. Es war natürlich eine deutsche Bäckerei. (Tante Melia sprach immer so liebevoll von den Konditoreien, die sie in Bremen und Hamburg besucht hatte. Liebevoll, sage ich, weil sie zwischen Backwerk und anderen gutherzigen Dingen kaum einen Unterschied machte.) Nein, so gottverlassen war die Straße nun auch wieder nicht, besonders nicht, wenn man von dem fernen Planeten Pluto zu Besuch kam.
    Als ich so dahinbummelte, dachte ich an die Familie Buddenbrook und dann an Tonio Kroger. Der liebe, alte Thomas Mann! So ein erstaunlicher Handwerker! (Ich hätte ein Stück Streuselkuchen kaufen sollen.) Ja, auf den Bildern, die ich von ihm gesehen hatte, glich er einem Krämer. Ich konnte ihn mir vorstellen, wie er seine Novellen im Hintergrund eines Feinkostladens schrieb, eine Kette Frankfurter Würstchen um den Hals geschlungen. Was hätte er aus der Myrtle Avenue gemacht! Wenn Sie schon nach Europa fahren, besuchen Sie doch Gorki. War das nicht phantastisch? Weit leichter wäre es, eine Audienz bei dem König von Bulgarien zu erreichen. Wenn schon Besuche gemacht werden sollen, hatte ich meinen Mann schon herausgesucht: Elie Faure. Wie würde er es wohl aufnehmen, wenn ich ihn um die Erlaubnis bäte, ihm die Hand zu küssen?
    Eine Trambahn rasselte vorbei. Ich sah den Schnurrbart des Fahrers fliegen. Presto! Der Name blitzte sofort in mir auf. Knut Hamsun. Man denke, der Dichter, der schließlich den Nobelpreis bekam, war in diesem gottverfluchten Land Trambahn-Fahrer gewesen. Wo war es noch - in Chicago? Ja, Chicago. Und dann kehrt er nach Norwegen zurück und schreibt Hunger . Oder hat er Hunger zuerst geschrieben und wurde dann Trambahner? Jedenfalls hat er nie eine Niete hervorgebracht.
    Ich bemerkte eine Bank am Straßenrand. (Sehr ungewöhnlich.) Wie der Engel Gabriel senkte ich mein Hinterteil. Ah! Was hatte es für einen Sinn, sich die Beine abzulaufen? Ich lehnte mich zurück und öffnete weit den Mund, um die Sonnenstrahlen einzutrinken. Wie geht's dir? fragte ich und meinte Amerika, die ganze verdammte Angelegenheit, die diesen Namen führt. Wahrhaftig ein sonderbares Land! Man sehe sich die Vögel an! Sie sehen jämmerlich und schlapp aus, was ist mit ihnen?
    Ich schloß die Augen, nicht um zu dösen, sondern um die Heimat meiner Ahnen zu betrachten, ein

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