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Nibelungen 01 - Der Rabengott

Nibelungen 01 - Der Rabengott

Titel: Nibelungen 01 - Der Rabengott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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zu glauben, es seien tatsächlich Götter, die in ihr Dorf einreiten?«
    »Ein bescheidenes Talent, über das ich verfüge«, gab Runold im Flüsterton zurück. »So hat eben jeder von uns sein kleines Geheimnis, nicht wahr?«
    Wo waren die Stimmen der Kinder, die jeden Gauklerzug bei seiner Ankunft umgaben? Wo die Musik, wo das Jubeln der Dorfbewohner?
    Statt dessen empfing man sie mit zugeschlagenen Fensterläden und und furchtsamem Raunen. Für die Menschen hier waren die Reiter keine Gaukler, keine Spaßmacher und Illusionäre. Egal welche Magie Runold auch einsetzte, um diese Leute den Schwindel glauben zu machen, sie tat ihre Wirkung mit größtem Erfolg.
    Und da erst begriff Hagen mit aller Klarheit, daß er für diese Menschen wirklich ein Gott war.
    Unwillkürlich fragte er sich, was wohl Wodan – der echte, der wahrhaft göttliche – von Runolds Betrügereien halten mochte. Aber Hagen fürchtete sich nicht. Er hatte andere Feinde, die ihn ängstigten. Die Götter waren weit entfernt, doch der Fluß umarmte ihn mit seiner eisigen Flut, mit seinem Gestank, mit seinem hohnvollen Flüstern.
    Nimmermehr, dachte er in einem Anflug von Panik, wenn du irgendwo in der Nähe bist, dann komm her und hilf mir!
     

     
    Kurz darauf ließ Runold die Pferde anhalten. Ein Mann mit dröhnender Stimme – er spielte die Rolle des Gewittergottes Donar – erklärte Hagen, sie befänden sich ein wenig außerhalb des Dorfes, an der Spitze der Landzunge. Einige von ihnen würden jetzt ein Zelt aufbauen. Darin dürfe je ein Dorfbewohner gegen Bezahlung einem der Götter gegenübertreten. Die meisten würden um Beistand flehen, erklärte der falsche Donar schmunzelnd, manche ein Opfer darbringen und wieder andere einfach nur dummes Zeug reden, bis einem die Ohren schmerzten.
    »Hat nie jemand Zweifel an eurer Echtheit gehabt?« fragte Hagen ungläubig.
    Der Mann stieß ein grollendes Lachen aus. »Niemals. Sie alle kommen brav wie Lämmer, demütig, ängstlich – und durch und durch gläubig.«
    »Und das bewirkt allein Runolds Zauber?«
    »Es muß wohl so sein.« Der Mann klang nicht, als hätte er sich allzu viele Gedanken über diese Frage gemacht. »Keiner weiß das ganz genau. Weißt du, wir Menschen sind ein Haufen dummer Esel; wenn wir glauben wollen, daß ein Gott zu uns spricht, nun, dann glauben wir es eben.«
    Hagen hörte, wie sich der Mann entfernte. Er tastete mit den Händen über seine Schultern, doch die beiden Raben waren verschwunden. Er fragte sich, ob er dieses Wunder Nimmermehrs Mantel zu verdanken hatte; es war die einzige Erklärung, die ihm einfiel.
    Bis zum Abend geschah wenig. Hagen saß am Boden, wünschte sich, er könne sein Kettenhemd ausziehen, hielt es aber in seiner Lage nicht für ratsam. Runolds Leute mochten – im Gegensatz zu ihrem Anführer – wie harmlose Narren klingen, doch konnte er dessen nicht sicher sein. Ihr demütiges Verhalten beim Rätselraten war ihm noch gut im Gedächtnis, und er wollte es nicht darauf ankommen lassen, sich allein ihrem guten Willen auszuliefern.
    Das hast du doch längst, sagte eine Stimme in seinem Inneren. Erst hast du dich dem Mädchen ausgeliefert und nun diesem Haufen von goldgierigen Wirrköpfen.
    Plötzlich hob Runold seine Stimme. »Wir sind soweit. Ich habe den Leuten im Dorf gesagt, bei Sonnenuntergang seien wir bereit für sie.« Er räusperte sich lautstark. »Nun, die Sonne ist untergegangen, und dort hinten sehe ich die ersten Fackeln. Wollen wir hoffen, daß unsere Freunde genug Münzen dabeihaben.«
    Der eine oder andere aus der Truppe spendete Beifall. Runold verstummte für einen Moment, dann stand er plötzlich direkt neben Hagen. »Komm, Freund Rabengott. Du kannst hier nicht sitzen bleiben. Wenn sie dich so sehen, wird nicht einmal der dümmste Bauer glauben, daß du der Herr aller Götter bist.«
    »Was geschieht jetzt?« fragte Hagen und rang mit seiner Wut. Er wünschte sich nichts so sehr, wie aufzuspringen und Runold den Hals umzudrehen.
    »Ihr wartet alle gemeinsam hinter dem Zelt. Die Leute kommen der Reihe nach dran. Sie bezahlen bei mir, sagen mir, mit welchem von euch sie sprechen wollen, und betreten das Zelt. Ich komme dann zu euch und führe den gewünschten Gott von hinten ins Zelt.«
    »Klingt wie ein Kinderspiel.«
    Runold gab einen kehligen Laut von sich. »Das ist es, mein Freund, das ist es.«
    Während er sich widerwillig von Runold hinter das Zelt führen ließ, wo die anderen schon bereitstanden, fragte Hagen:

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