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Nibelungen 01 - Der Rabengott

Nibelungen 01 - Der Rabengott

Titel: Nibelungen 01 - Der Rabengott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Siebenschläfer gnädig stimmen.«
    »Vielleicht«, fügte eine andere hinzu.
    »Von was für Opfern sprecht Ihr?« wollte Hagen wissen – genaugenommen wollte er es nicht, aber sich einfach umzudrehen und davonzulaufen wäre unklug gewesen.
    »Wertvolle Opfer.«
    »Kostbare Opfer.«
    » Goldene Opfer.«
    Hagen schluckte schwer. »Der Siebenschläfer will Gold?« Er war erleichtert – er hatte schon befürchtet, der Fluß verlange Menschenopfer –, doch zugleich beunruhigte ihn dieser merkwürdige Wunsch zutiefst. Ganz bestimmt konnte es nicht so einfach sein…
    Die drei Wasserfrauen nickten in einer einzigen Bewegung ihrer mondscheinumrahmten Häupter.
    »Ja«, sagten sie wie aus einem Munde. »Gold ist es, das er verlangt.«
    Eine fügte hinzu: »Sehr viel Gold.«
    Hagens Gedanken überschlugen sich. Woher sollte er Gold nehmen? Er selbst besaß nicht ein einziges Stück. »Ich habe dem Siebenschläfer doch zurückgegeben, was sein war«, protestierte er schwach.
    Die Wasserfrauen lachten.
    »Nicht du«, sagte eine in hämischem Tonfall.
    »Dein Bruder war es.«
    »Deshalb hat es nichts zu bedeuten.«
    »Der Fluß verlangt, daß du selbst deine Tat bereust.«
    »Aber ich bereue doch«, rief Hagen verzweifelt.
    »Nicht genug«, erwiderten die Frauen.
    »Es ist ganz einfach: Du opferst regelmäßig Gold –«
    »– und der Fluß wird dich dafür verschonen.«
    Hagen sank im feuchten Gras auf die Knie. »Wieviel verlangt Ihr?«
    »Nicht ›wieviel‹«, wurde er verbessert. »Die Frage muß lauten: ›Wie oft?‹.«
    »Und die Antwort heißt: Dein Leben lang.«
    »Einmal in jedem Mond wirst du uns Gold bringen, erst wenig, dann immer mehr.«
    »Niemals darfst du uns weniger bringen als beim Mal davor.«
    »Heute einen Ring, in dreißig Tagen zwei Ringe.«
    »Dann einen Goldreif.«
    »Danach zwei.«
    »Darauf vielleicht ein Sack mit Münzen.«
    »Und so weiter, und so weiter.«
    »Bis du stirbst.«
    »Dann erlischt der Fluch.«
    »Dann bist du frei.«
    Wieder kicherten sie. »Kein schlechter Handel, was?«
    Hagen erkannte die Grausamkeit dieser Forderung selbst durch den Nebel aus Furcht, der ihn umhüllte. Sehr, sehr leise fragte er: »Und was, wenn ich mich weigere? Oder nicht genug Gold zusammenbringen kann?«
    »Dann sterben alle, die dir etwas bedeuten.«
    »Dein Bruder.«
    »Dein Vater.«
    »All deine Freunde und Gefährten.«
    »Und später, deine Frauen. Jede, der du ein Lächeln schenkst. Jede, an die du nur einen Gedanken verschwendest.«
    »Der Fluß wird es wissen.«
    »Wird wissen, was zu tun ist.«
    »Wird es tun.«
    Mit diesen Worten drehten sich die drei Frauen um, wandten Hagen den Rücken zu. Schweigend und aufrecht, mit Schritten voller Grazie, entfernten sie sich vom Ufer, sanken tiefer und tiefer in den Rhein hinab. Zuletzt schwebte nur noch ihr Haar zwischen den tanzenden Mondsplittern, dann waren sie gänzlich in der Tiefe verschwunden.
    Hagen blieb allein zurück, blickte starr hinaus auf das Wasser. Er weinte nicht, flehte nicht. Nur in seinem Schädel jagten sich die Gedanken.
    Als schließlich die Morgendämmerung über den Bergen erglühte, da erhob er sich und schleppte sich müde zurück zur Burg.

Kapitel 5  
    ie ritten einen steilen Berg hinab, und Runold verkündete, das Dorf Zunderwald liege nur noch eine kurze Wegstrecke vor ihnen. Ein eigenartiger Geruch durchdrang die kühle Bergluft; es dauerte eine Weile, ehe Hagen begriff, wonach es roch.
    Es war der Gestank von faulenden Wasserpflanzen am Ufer, von Fisch und aufgewühltem Schlick. Es war der Rhein.
    Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto schweigsamer wurden die Gaukler. Nur Runold ergriff ab und an das Wort und übte sich in aufgesetzter Fröhlichkeit. Die meiste Zeit aber sprach niemand. Es wurden auch keine Rätsel mehr verlangt, der Rabengott hatte längst an Faszination verloren. Hagen fragte sich immer noch, ob sie wirklich glaubten, er sei Wodan im Leib eines Menschen, oder ob sie diese Behauptung nur ebenso leichtfertig hinnahmen wie alles andere, das ihr Anführer von sich gab.
    Es machte Hagen keine Mühe, durch das Geklapper der Hufe und Knirschen der Wagenräder die Strömung herauszuhören. Ihr fernes Plätschern und Strudeln war noch weit genug entfernt, als daß es ihm ernsthafte Sorgen bereitet hätte, und doch schon so nah, daß er wachsam wurde. Sein letztes Goldopfer lag erst drei Wochen zurück, der Siebenschläfer war besänftigt. Der Fluß hatte nie gegen seine eigenen Gesetze verstoßen.

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