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Nibelungen 01 - Der Rabengott

Nibelungen 01 - Der Rabengott

Titel: Nibelungen 01 - Der Rabengott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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folgte sein Blick seinem Bruder.
    Dankwart und seine Männer ritten zum Ufer hinab. Unweit der Anlegestelle stiegen sie von ihren Pferden und gaben dem Fährmann ein Zeichen. Das flache Boot näherte sich dem Ufer, und wenig später schon führte Dankwarts Trupp seine Tiere aufs Deck.
    Hagens Herzschlag raste. Er hatte nur Augen für die grauen Wogen, die gegen den Rumpf der Fähre klatschten. Er sah den hellen Schaum auf den Wellenkämmen und glaubte Augen darin zu erkennen, Augen, die ihn höhnisch anglotzten.
    Mehr als zwei Jahre lang hatte Hagen sich an seine Abmachung mit den Wasserfrauen gehalten, hatte Mond für Mond seinen Tribut an den Fluß gezollt. Anfangs waren es winzige Schmuckstücke gewesen, Ohrringe und Anhänger, die er aus dem Gemach seiner Mutter gestohlen hatte. Weil der Pfaffe der Gräfin gepredigt hatte, es gezieme einer demütigen Christin nicht, sich mit Gold und Silber zu behängen, war der Diebstahl unbemerkt geblieben. Im letzten Monat war das Goldopfer bereits angewachsen zu einem Säckchen von der Größe einer Männerfaust, entwendet aus der gräflichen Schatzkammer. Es war nur eine Frage der Zeit, ehe sein Verschwinden auffallen würde, und Hagen war mehr als dankbar, daß er dann nicht mehr in der Burg weilen würde.
    Er also hatte sich an seinen Teil der Abmachung gehalten. Trotzdem leckte der Fluß am Rumpf der Fähre empor, hier und da schlugen gischtende Wellengipfel über die Reling und brachten Unruhe unter die Pferde. Dankwart wirkte bekümmert, denn obgleich er nicht um die wahre Natur von Hagens Handel mit dem Rheingeist wußte, so ahnte er doch, daß von dem Fluß eine unbestimmte Gefahr ausging.
    Einen Augenblick lang wurde Hagen von Panik überwältigt. Er sah Dankwarts düsteres Gesicht, sah die graue, strudelnde Strömung, die scheuenden Pferde, die ahnungslosen Krieger, und er wußte plötzlich, daß dies kein gutes Ende nehmen würde. Wenn nicht an diesem Tag, dann an einem anderen. Wie sollte er auf Otberts Burg seine Goldopfer fortsetzen, an einem Ort, wo man ihn, einen Fremden, nicht so leichtfertig in der Nähe der Schätze dulden würde? Wen würde der Siebenschläfer als erstes bestrafen? Dankwart, seine Eltern, alle anderen, die ihm teuer waren?
    Er hätte heulen mögen, war sich aber der Blicke seiner Begleiter bewußt, die nur auf ein Zeichen von ihm warteten, um die Reise nach Süden fortzusetzen.
    Hagen hob noch einmal die Hand, um Dankwart zuzuwinken, dann wandte er sich abrupt ab und schloß zu den anderen auf. Er würde nicht zulassen, daß der Flußgeist mit ihm spielte.
    Später, als sie bereits ein gehöriges Stück der Uferstraße zwischen sich und die Anlegestelle gebracht hatten, schaute Hagen sich noch einmal widerwillig um.
    Die Fähre hatte auf der anderen Seite angelegt, die Reiter verließen das Deck. Der Fährmann sah ihnen zu. Er stand starr auf einen Stab gestützt im Heck des Bootes und wandte Hagen den Rücken zu.
    Als der letzte Reiter im Wald verschwunden war, der Straße nach Worms entgegen, wandte der Fährmann plötzlich den Kopf.
    Hagens Züge gefroren.
    Wo das Gesicht des Mannes hätte sein sollen, war nichts als ein kreisender Wasserstrudel, außen grau und schäumend, in der Mitte aber schwarz wie ein wirbelndes Auge.
    Höhnisches Gelächter drang vom Fluß herüber.
    Alle außer Hagen hielten es für das Tosen der Strömung.
     

     
    Drei Tage später passierte Hagens Reitertrupp den ersten Grenzstein zum Lehen des Otbert von Lohe. Die Burg des Grafen lag auf einem schroffen Felsen oberhalb des Flusses. Auf den umliegenden Hängen wurde Wein angebaut, am Ufer lagen Fischerboote. Die Sonne wanderte dem Horizont entgegen und tauchte den Rhein und die Weinberge in Gold. Ein Omen, dachte Hagen alarmiert, ohne jedoch die Bedeutung zu erkennen.
    Die Pferde trugen sie bergauf, über einen geschlängelten Hohlweg, der vor einem zerklüfteten Felsgraben endete. Ein Horn ertönte auf den Zinnen der Burg, dann senkte sich mit einem erbärmlichen Quietschen die Zugbrücke über die Kluft. Die Hufe schlugen hart auf die Holzbohlen, als Hagen und seine Garde in die Festung einritten.
    Denn eine Festung war es wohl, mehr noch als die Burg derer von Tronje. Dies war das Heim eines Kriegers, ganz ohne Zweifel. Hoch und mächtig überschauten drei Türme das Land am Fluß, und die Mauern waren dick genug, um einem Ansturm der Götter selbst standzuhalten (so wenigstens erschien es Hagen, der in seinem Leben erst zwei Burgen gesehen hatte, und

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