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Nibelungen 01 - Der Rabengott

Nibelungen 01 - Der Rabengott

Titel: Nibelungen 01 - Der Rabengott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Begrüßung verschwunden. Er hoffte sehr, er würde sie später beim Festmahl wiedersehen.
    Laurine ließ ihn eine Weile allein, damit er sich frischmachen und die staubige Reisekleidung ablegen konnte. Hagen warf sich langgestreckt auf sein Lager – es war hart und erstaunlich ungemütlich nach all der Behaglichkeit, aber ihm dämmerte gleich, daß auch dies auf Otberts Veranlassung geschehen war. Der Graf wollte gar nicht erst davon ablenken, daß Hagen vor allen Dingen hier war, um die Erziehung eines Kriegers zu genießen. Es war üblich, daß ein Junge von Adel solch eine Lehre nicht am elterlichen Hof genoß, sondern in der Fremde, wo, so nahm man an, seine besten Tugenden zutage treten würden.
    Er war wohl eingeschlafen, als es an der Tür klopfte, und eine Kammerzofe ihm mitteilte, daß es an der Zeit für die Feierlichkeiten sei.
    Hagen dankte ihr, kleidete sich um und machte sich frohgemut auf den Weg, um an der Tafel seiner neuen Familie die eigene Ankunft zu feiern.
     

     
    Drei Tage vergingen. Tage voller Lehrstunden im Umgang mit Waffen, Rüstzeug und den ersten Grundzügen der Kriegsführung. Otberts Stallmeister zeigte sich erfreut, wie geschickt Hagen im Umgang mit Pferden war und welch große Geduld er bei der Pflege der Tiere zeigte. In ihm hatte Hagen schnell seinen ersten Fürsprecher und väterlichen Freund gefunden.
    Was den Schwertkampf anging, so entdeckte der zuständige Lehrmeister, ein düsterer Ritter mit Namen Adalwig, zahlreiche Mängel in Hagens Fertigkeiten – kein Wunder, denn daheim war der Junge nur oberflächlich in die Kampfkunst eingewiesen worden. Adalwig versicherte Hagen jedoch mit finsterer Miene, daß er die feste Absicht habe, solche Schwächen schnell zu beheben. Hagen stellte sich notgedrungen auf harte Übungsstunden ein.
    Die Gräfin selbst prüfte eingehend Hagens Manieren, sein Benehmen bei Tisch und – zu seiner Verblüffung und ihrer Erheiterung – seine Stimmgewalt. Hierzu verlangte sie ihm allerlei Lieder ab, die er krächzend und falsch für sie zum besten gab. Er schämte sich sehr, als sie wie unter Schmerzen das Gesicht verzog, doch gleich darauf brach sie in helles Gelächter aus, umarmte ihn herzlich und lobte ihn über alle Maßen für seine Bereitwilligkeit, seine Fertigkeiten zu schulen. Bald schon war Hagen gewiß, daß Laurine ihm eine bessere Mutter sein würde, als seine eigene es je gewesen war. Er begann sich zu wünschen, nie mehr von hier fortgehen zu müssen.
    Graf Otbert sah er während der ersten drei Tage nur zum Essen, das die Familie gemeinsam an einer großen Eichentafel einnahm. Bei diesen Gelegenheiten warf Hagen immer wieder verstohlene Blicke zu Malena hinüber, die ihm jedesmal ein glutäugiges Lächeln schenkte.
    Schließlich, am späten Abend des dritten Tages, klopfte es an Hagens Kammertür. Helles Mondlicht erhellte die Fensterscheibe aus dickem, trübem Glas, ein Nachtvogel schrie in den Wäldern. Hagen hatte bereits geschlafen und brauchte einen Moment, ehe er begriff, daß jemand Einlaß begehrte.
    Das Klopfen wiederholte sich, ungeduldiger diesmal. Hagen zog sein langes Nachthemd zurecht und rief: »Ja, bitte?«
    Die Tür ging auf – und Hagens Träume von einem Besuch der schönen Malena zerstoben.
    Im Schein der Korridorfackeln stand Graf Otbert.
    »Komm, Junge«, sagte er düster, »ich will dir etwas zeigen.« Er trug ein Lederwams mit dem Wappen seiner Familie. Auf seinem Rücken hing ein prallgefüllter Köcher. Das Gefieder der Pfeile schimmerte bei jeder Bewegung.
    Hagen sprang pflichtbewußt aus dem Bett und drehte sich eilig mit dem Rücken zur Tür, damit Otbert nicht bemerkte, daß seine Zuneigung für Malena sich deutlich unter seinem Nachtgewand abzeichnete. Schnell schlüpfte Hagen in seine Beinkleider, versuchte dabei, das Gesicht des Mädchens aus seinen Gedanken zu vertreiben, und zog sein Wams über.
    Wenig später eilte er an Otberts Seite den Gang hinunter, bemüht, mit dem Grafen Schritt zu halten. Die Wandfackeln in ihren Halterungen warfen vereinzelte Lichtinseln in den Korridor, gelbes Flakkern spielte auf den Gesichtern der beiden. Otbert hielt einen reichverzierten Langbogen in der Rechten.
    »Wo gehen wir hin?« wollte Hagen wissen.
    »Das wirst du schon sehen.«
    »In den Wald?«
    »Du bist neugierig, Junge.«
    »Nein, wißbegierig.«
    Otbert schmunzelte, sagte aber nichts darauf. Sie traten durch eine niedrige Bogentür und stiegen eine enge Wendeltreppe nach oben. Hagen versuchte

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