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Nibelungen 01 - Der Rabengott

Nibelungen 01 - Der Rabengott

Titel: Nibelungen 01 - Der Rabengott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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diese war eine davon).
    Auf dem Hof herrschte reges Treiben. Krieger putzten im Licht der Abendsonne ihre Waffen, Pferde wurden abgebürstet, Mägde balancierten Krüge und Körbe von den Nebengebäuden ins Haupthaus. Der Geruch von gebratenem Fleisch hing in der Luft. Otbert von Lohe wollte seinen neuen Schützling mit einem Festmahl willkommen heißen.
    Der Graf trat ihnen persönlich entgegen, in seinem Gefolge seine Gemahlin Laurine, seine älteste Tochter Malena und die Jüngste Nane. Am Burgbrunnen in der Mitte des Hofes trafen sie aufeinander.
    Otbert war ein großer Mann, breit wie Hagens Vater, wenngleich ein wenig rundlicher um die Hüften. Man sah ihm an, daß es eine Weile her war, seit er zum letztenmal in die Schlacht gezogen war. Seine Züge aber waren hart und unbeugsam, das Haar schlohweiß. Als er lächelte, sah Hagen, daß dem Grafen ein Schneidezahn fehlte.
    Seine Frau Laurine war zweifellos einst ein schönes Weib gewesen, mit wallendem graugoldenem Haar, und was das Alter ihr an Schönheit abgefordert hatte, hatte es ihr an Würde und Stolz hinzugegeben. Sie war schlank und hochgewachsen und verbreitete Anmut mit jedem ihrer Schritte. So ganz anders war sie als Hagens Mutter, die die Jahre an Adalmars Seite in die Arme eines Pfaffen getrieben hatten. Laurine trug ein rotes, enganliegendes Kleid und einen braunen, silberdurchwirkten Überwurf. Ihr langes Haar war mit mehreren Goldspangen hochgesteckt. Ihr Blick war gütig und voller Wärme.
    Was die beiden Töchter anging – nun, Nane war zu jung, um irgendeinen Eindruck bei Hagen zu hinterlassen; sie hatte höchstens vier Sommer gesehen. Malena aber war in Hagens Alter, vielleicht ein wenig jünger. Sie war schlank und anmutig wie ihre Mutter, ihr weißblondes Haar war mit Silberfäden zu einer Unzahl langer Zöpfe geflochten. Ihr Gesicht war schmal, der Mund klein und von bezaubernder Röte. Rot aber waren auch ihre Augen, und das war das Eigenartigste, das Hagen je an einem Menschen beobachtet hatte – Malena hatte tatsächlich leuchtend rote Augen wie ein Wolfshund in der Nacht. Malenas Haut war von einem zarten Weiß, so rein wie Milch, nur klarer, fast durchscheinend. Der Eindruck unbeschreiblicher Schönheit und der Hauch des Gespenstischen überlagerten sich in ihrer Erscheinung.
    Graf Otbert hieß sie willkommen, erst förmlich, ganz dem höfischen Zeremoniell entsprechend, dann mit Schulterschlag und lautem Gelächter. Jeder, auch die niedersten Krieger in Hagens Gefolge, erhielten einen heftigen Handschlag und den überschwenglichen Dank, daß sie Adalmars Sohn sicher hergebracht hatten. Sie sollten am Abend gemeinsam mit der ganzen Burg feiern, ausschlafen und sich erst am nächsten oder gar übernächsten Tag auf den Heimweg machen, ganz wie es ihnen beliebte. Die Krieger waren sichtlich von soviel Freundlichkeit angetan, und Hagen begriff, daß dies bereits seine erste Lektion war: Sei immer gut zu jenen, von denen dereinst dein Leben abhängen mag.
    Auch die Gräfin nahm Hagen in den Arm wie die Mutter, die sie ihm für die nächsten Jahre sein wollte. Die kleine Nane kicherte und schaute zu Boden, als Hagen ihr zur Begrüßung über das helle Blondhaar strich, während Malena, die schöne, geheimnisvolle Malena, ihm einen Blick aus ihren roten Augen schenkte, der ihn bis ins Mark erschauern ließ; es war ein wohliger Schauer, der für Hagen eine gänzlich neue Empfindung bedeutete. Er beschloß, daß es ihm in der Burg derer von Lohe gut gefiel, ja, nun war er seinem Vater sogar dankbar für die Entscheidung, ihn hierher zu schicken. Die Menschen begegneten ihm großherzig und voller Freundschaft, und die Mauern der Festung waren so hoch und standhaft, daß nicht einmal der Rhein ihnen etwas anzuhaben vermochte. Ein glühendes Hochgefühl machte sich in Hagen breit, und für eine Weile vergaß er sogar seinen Pakt mit dem Flußgeist.
    Gräfin Laurine führte ihn in sein Gemach, eine großzügig angelegte Kammer mit Ausblick auf die bewaldeten Berge. Im stillen war Hagen dankbar, daß er von hier aus nicht auf den Rhein sehen mußte. Es bestärkte ihn nur in dem Glauben, daß sein Geschick sich jetzt zum Guten wenden würde.
    Während ihres Weges durch die steinernen Flure der Burg war Nane fröhlich hinter ihnen dreingesprungen. Jetzt erst fiel Hagen auf, daß auch sie rote Augen und schneeweiße Haut hatte; wenn auch nicht so stark ausgeprägt wie bei ihrer älteren Schwester.
    Zu Hagens Enttäuschung war Malena nach der

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