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Nibelungen 01 - Der Rabengott

Nibelungen 01 - Der Rabengott

Titel: Nibelungen 01 - Der Rabengott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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vergeblich, seinen Atem im Zaum zu halten, doch schon auf halber Strecke gab er auf und japste erbärmlich. Der Graf dagegen atmete trotz seiner schnellen Schritte regelmäßig und ruhig.
    Sie erreichten die obere Plattform. Es war der Nordturm, wie Hagen jetzt erkannte. Ein einsamer Wächter stand hinter den Zinnen und blickte höchst erstaunt, als der Graf persönlich aus der Bodenluke stieg.
    »Warte unten auf uns«, wies Otbert ihn an.
    Der Wachtposten salutierte mit seiner Lanze, dann eilte er durch die Luke nach unten – nicht ohne Hagen vorher einen fragenden Blick zuzuwerfen.
    Als die beiden allein auf dem Turm standen, hob Otbert langsam den Arm und wies hinauf in den Nachthimmel.
    »Sieh, mein Junge, der Vollmond.«
    Hagens Blick folgte Otberts ausgestrecktem Zeigefinger. Strahlend weiß und kugelrund hing der Mond in der Schwärze.
    »Bevor dir irgend jemand anders davon erzählt, will ich dir etwas verraten«, sagte Otbert. »Ich weiß, daß hinter meinem Rücken darüber geflüstert wird, doch auch das gehört zum Leben eines Kriegers: Kümmere dich nie um das, was andere über dich sagen mögen.«
    Hagen nickte und tat sehr überzeugt von des Grafen Rede. In Wahrheit wunderte er sich, worauf Otbert hinaus wollte. Wiewohl, er stellte keine Fragen, sondern wartete geduldig ab.
    »Der Mond ist der älteste Feind der Menschheit«, erklärte Otbert voller Überzeugung. »Viele wissen es nicht, oder sie wollen es nicht wahrhaben. Dennoch gibt es keinen Zweifel, daß es so ist. Der Mond ist unser Feind, er will uns Böses, wo er nur kann. Er weckt Triebe und Gelüste in uns, die uns von Natur aus fremd sind. Er will uns weh tun, und er jubelt stumm, wenn es ihm gelingt. Er lockt die Flut aus den Meeren, läßt das Wasser steigen, bis es ganze Landstriche verschlingt. Er läßt uns nicht schlafen, und manche von uns zieht er magisch an.«
    Hagen lauschte mit offenem Mund. Erzählte man sich deshalb, Otbert von Lohe sei verrückt? Er konnte sich vage erinnern, daß Bärbart einmal ähnliche Dinge über die Macht des Mondes gesagt hatte.
    Otbert setzte sich zwischen zwei Zinnen und blickte Hagen eindringlich an. »Du hast meine Töchter gesehen. Dir ist etwas an ihnen aufgefallen, nicht wahr?«
    »An Euren Töchtern?« stammelte Hagen. Liebe Güte, sollte er sich vorhin doch nicht schnell genug abgewandt haben? Hatte der Graf erraten, was er für Malena empfand?
    »Red’ nicht drumherum, Junge, und gib mir eine Antwort.« Immer noch war der Blick des Grafen ernst und düster.
    Hagen dachte, daß er Otbert Ehrlichkeit schuldete, auch dann, wenn es unangenehm war, die Wahrheit auszusprechen. »Nun, Nane wird sicher einmal ein hübsches Mädchen, und Malena ist jetzt schon… sie ist, nun ja, wunderschön…« Er spürte, wie sein Gesicht rot anlief.
    Der Graf hob die rechte Augenbraue so hoch, daß Hagen schon glaubte, sie würde jeden Augenblick gegen seinen weißen Haaransatz stoßen. Dann, völlig unvermutet, überkam den alten Krieger Heiterkeit.
    »Ach, mein Junge, die Frauen verdrehen uns Männern die Köpfe wenn sie nur mit den Schultern zucken. Sie mögen sich nichts dabei denken, aber wir… ja, wir werden ihr Lächeln nicht mehr los.« Er brach ab, als ihm klar wurde, daß er eigentlich auf etwas ganz anderes hinauswollte. »Malena ist wunderschön. Aber das meinte ich nicht.«
    Hagen, der sich vor Beschämung am liebsten vom Turm gestürzt hätte, wich dem Blick des Grafen aus. »Dann meint Ihr ihre Augen?«
    »Allerdings.« Otbert sah an Hagen vorbei zum Mond. Um seine Mundwinkel legte sich ein Zug der Verbitterung. »Die Alten flüstern über die Augen meiner Töchter. Sie raunen sich Dinge darüber zu, auch über das Weiß ihrer Haut. Eine Vettel verkündete hinter meinem Rücken, die Kinder könnten verhext sein, und es sei für alle besser, wenn man die Mädchen fortschicke oder« – er zog scharf die Luft ein – »sie sogar töte.«
    Hagen mußte unwillkürlich an das denken, was ihm selbst widerfahren war, an den grausamen Ratschlag Bärbarts, und er war drauf und dran, Otbert davon zu erzählen. Doch es stand ihm nicht zu, den Grafen zu unterbrechen.
    »Ich habe die Alte verbrennen lassen«, fuhr Otbert fort. »Vorher brachte ich sie dazu, ihre Worte zu widerrufen. Seitdem höre ich nur noch wenig von dem, was gemunkelt wird, aber ich habe keinen Zweifel, daß die alten Vorurteile immer noch genährt werden.« Er zog Hagen an der Schulter herum, damit ihnen beiden das weiße Licht des Mondes

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