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Nibelungen 05 - Das Runenschwert

Titel: Nibelungen 05 - Das Runenschwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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Immer öfter zog er hinaus in die Wälder, und man munkelte, er bete an geheimen Orten die alten Götter an. Ein Runenkundiger sollte er sein, ein Seher und Zauberer. Je seltener er sich in Xanten zeigte, desto wilder wucherten die Gerüchte. Seit zwei Jahren schien er gänzlich verschollen, und die von seinem Tod gehört haben wollten, mehrten sich.
    Posaunengeschmetter begleitete den Einzug der Friesen in die Königsburg. Der Xantener Hof bildete ein weites Halbrund, um die Gäste zu begrüßen.
    Siegfried, der neben seiner Mutter stand, erkannte König Hariolf sofort, obgleich er ihn niemals zuvor gesehen hatte. Ein nicht übermäßig großer, aber kräftiger und stolzer Mann auf einem edlen Rappschecken. Ein lockiger Bart, rotbraun wie das Haar, zierte Wangen und Kinn, ließ aber die Oberlippe frei. Das Gesicht war von tiefen Linien durchzogen, und jede stand für mehr als ein erlittenes Leid.
    Es sah so aus, als wolle er die Königin der Niederlande beleidigen und sie vom Pferd aus, von oben herab, begrüßen. Aber dann schloß er die schon geöffneten Lippen wieder und stieg zur allgemeinen Erleichterung des Xantener Hofstaates aus dem silberbeschlagenen Sattel. Er verbeugte sich vor Sieglind und grüßte sie als hohe Frau und gnädige Königin.
    Sie erwiderte den Gruß, hieß den Gast willkommen und stellte ihm ihre wichtigsten Berater und ihren Sohn vor. Die Reihe war wieder an Hariolf, der seine Kinder mitgebracht hatte, Sohn und Tochter.
    Prinz Harko, der sein Ritterschwert noch nicht lange tragen konnte, war eine jüngere Ausgabe des Vaters, mit fast gleicher Haar- und Barttracht. Die fehlenden Furchen der Lebenserfahrung machte er durch die Arroganz wett, mit der er den Xantenern gegenübertrat. Siegfried mochte ihn vom ersten Augenblick an nicht.
    Ganz anders verhielt es sich mit Prinzessin Amke, die ein oder zwei Jahre jünger als Siegfried war. Ihr offenes, von ein paar kecken Sommersprossen gesprenkeltes Gesicht mit den leuchtenden Augen, die alles begierig in sich aufnahmen, zog Siegfried fast magisch an. Ihre freundlichen Züge waren wie eine wärmende Sonne, die alle Kälte ausglich, die von ihrem Vater und ihrem Bruder ausging.
    Geheimnisvoll und vollkommen unnahbar wirkte der Mann, den König Hariolf als seinen wichtigsten Ratgeber vorstellte: Markgraf Onno.
    Alles an ihm war rot, feuerrot: das Haar, die blutunterlaufenen Augen und das bartlose, von dicken Narben gräßlich entstellte Gesicht. Er trug einen roten Umhang und ritt einen Rotfuchs von kräftiger Farbe. Seine Gestalt war groß und hager, daß Siegfried glaubte, jeden einzelnen Knochen unter der Haut zählen zu können. Langgezogen und schmal war auch das Gesicht, das mit der langen, höckrig-krummen Nase an einen Raubvogel gemahnte.
    Siegfried fühlte sich bei Onnos Anblick an den roten Falken erinnert.
    Sieglind und Hariolf führten die Gesellschaft zur Burg, in den großen Festsaal. Musikanten spielten auf, und die Edlen nahmen an den Tafeln Platz. Siegfried kam es sehr gelegen, daß er neben der lieblichen Amke saß. Sie verstanden sich gut, und Amke ließ ihn mit keinem Wort und keiner Geste spüren, daß Siegfrieds Vater ihre Mutter auf dem Gewissen hatte.
    Auch Sieglind schien das bemerkt zu haben und sagte abends in trauter Zweisamkeit zu ihrem Sohn: »Hariolf und sein Sohn wirken auf mich wie zwei Eisbrocken, die tagelang in der Sonne liegen mußten, um aufzutauen. Amke dagegen ist ein sehr liebreizendes Geschöpf, nicht wahr?«
    »Ja«, antwortete Siegfried knapp, nicht wissend, worauf seine Mutter hinauswollte.
    Sieglind lächelte. »Ich glaube, die beste Sicherheit für einen dauerhaften Frieden zwischen den Niederlanden und Friesland wäre eine Verbindung zwischen unseren Königshäusern.«
    »Eine Verbindung?« wiederholte Siegfried verständnislos.
    »Eine Ehe«, präzisierte Sieglind und lächelte erneut.
    Als Siegfried begriff, was sie meinte, zog Schamröte auf seine Wangen. »Aber Mutter, Amke ist doch noch ein Kind!«
    »Erstens war ich das auch, als ich mit deinem Vater vermählt wurde. Und zweitens hatte ich vor wenigen Stunden noch den Eindruck, daß du sie gar nicht wie ein Kind anschaust.«
    Mit einem seltsamen Gefühl im Bauch ging Siegfried zu Bett – und träumte von Amke. Sie lächelte ihn an, und ihre Arme umfingen ihn.
    Es war ein höchst angenehmer Traum.

Kapitel 4  
    anten feierte die Ankunft des Friesenkönigs bis spät in die Nacht. Aber irgendwann erstarb die letzte Flöte, war der letzte Becher

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