Nibelungen 05 - Das Runenschwert
der richtigen Färbung, um es abzuschrecken!«
»Noch nicht«, wiederholte der erfahrene Schmied, dessen Augen starr auf die heiße Klinge gerichtet waren.
Mit jedem Druck Wielands flogen neue Funken auf. Gerade öffnete Siegfried den Mund, um seinen Meister zu fragen, wie lange die Klinge noch glühen müsse, da befahl Reinhold: »Abschrecken, jetzt!«
Siegfried zog das Schwert aus dem Feuer und tauchte es in den Bottich, der auf den ersten Blick klares Wasser enthielt. Doch es war mit Zutaten angereichert, die nur die Schmiede kannten und die dem Stahl besondere Härte verliehen. Dampf quoll unter lautem Zischen auf und vermischte sich mit dem Qualm, der von der Esse aufstieg, zu einer grauen Fahne, die zum Abzugsloch im Schrägdach wehte.
»Heraus mit dem Eisen!« rief Reinhold und legte seine Hand auf Siegfrieds Schulter.
Der junge Xantener riß augenblicklich die Klinge aus dem Bottich und legte sie auf den Stahlblock. Aus dem glühenden Dunkelrot war ein helles Gelb geworden.
»Du kannst das Schwert ruhig loslassen, Siegfried«, bemerkte Reinhold mit mildem Spott. »Wie du es umklammerst, kriegst du noch einen Krampf in den Armen.«
Siegfrieds ganze Aufmerksamkeit galt dem Eisen, dessen Gelb langsam eine dunklere Färbung annahm. Nur zögernd löste er seine Hände vom Schwertgriff. Er wollte nichts falsch machen, nichts verderben an seinem Königsschwert.
Schon einmal hatte er geglaubt, die richtige Klinge für seine bevorstehende Schwertleite in Händen zu halten. Reinhold hatte sie geschmiedet und Siegfried mit der Bemerkung überreicht, er solle sie ruhig nach Herzenslust prüfen. Das hatte der Königssohn getan und auf einer nahen Waldlichtung die Klinge geführt, immer wieder auf Bäume eingeschlagen – bis der Stahl zerbrach.
Reinhold hatte sein ergrauendes Haupt geschüttelt. »Du bist der kräftigste Schmiedebursche, den meine Augen jemals sahen«, hatte er zu Siegfried gesagt und hinzugefügt: »Ich glaube, nur du selbst kannst ein Schwert schmieden, das deinen Kräften standhält. Ich werde dir dabei helfen!«
Dieses Schwert lag nun auf dem Stahlblock und wechselte die Farbe seiner Klinge vom Dunkelgelben ins Blaue. Würde es das Schwert eines jungen Königs sein? Die Schwertleite sollte Siegfried zum Mann machen, und dann würde er an der Seite seiner Mutter Sieglind über die Niederlande herrschen, bis er eines Tages ganz allein das Erbe des toten Vaters antrat.
»Das Öl, Otter!« rief Reinhold. »Du mußt es eingießen!«
Der schlanke, dunkelhäutige Junge nickte und goß den Inhalt zweier Tonkrüge in einen hohen Eiseneimer. Als sich die beiden Flüssigkeiten trafen, schäumten sie kurz auf. Reinholds Härteöl war weithin berühmt. Otter trug schwer an dem Eimer, und Wieland half ihm, damit er nichts verschüttete. Sie stellten das Öl neben den Stahlblock.
Siegfried nahm das nur aus den Augenwinkeln wahr. Seine volle Aufmerksamkeit galt der noch immer heißen Klinge, die braun geworden war und sich allmählich erhellte, bis sie die Farbe von Honig annahm.
»Ins Öl, Meister?« fragte Siegfried, und Reinhold nickte. Der Königssohn ergriff das Schwert und steckte die Klinge ins Härteöl. Diesmal stiegen schwarze Schwaden auf, die aussahen – und stanken – wie Höllendämpfe.
»Rühren«, sagte der Schmied. »Beweg dein Schwert!«
Und Siegfried führte mit gleichmäßigen Bewegungen die erkaltende Klinge im Öl, um den Stahl gleichmäßig zu härten, wie er es bei Reinhold gelernt hatte. Der Schmied und die beiden Gehilfen standen dicht neben ihm. Ihre Augen folgten jeder Bewegung Siegfrieds, als er die Klinge langsam aus dem Eimer zog und hochhielt, bis die Glut der Esse sich in dem blauen Stahl spiegelte.
»Ah, das ist harter Stahl«, stellte Reinhold nach prüfendem Blick fest. »Sind die Schneiden erst geschärft, wirst du das beste Schwert im ganzen Land führen, Siegfried.«
»Wirklich?« fragte Siegfried leise und dachte an die andere Klinge, die er zerbrochen hatte.
»Du glaubst mir nicht?« Reinhold klang empört. »Dann erprobe die Härte. Schlag zu, auf was du willst!«
Siegfried betrachtete die Klinge und dann den Stahlblock, auf dem sie nach dem Abschrecken gelegen hatte. Plötzlich kam Bewegung in seinen sehnigen Körper, und er ließ Stahl auf Stahl niederfahren.
Wäre Otter nicht von übermenschlicher Gewandtheit gewesen, hätte die Schwertspitze das Findelkind durchbohrt. Sie brach ab, wie ein dünner Ast unter dem Druck einer kräftigen Hand zerbrach,
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