Nibelungen 05 - Das Runenschwert
protestieren. Er hatte kaum den Mund aufgemacht, da erhielt er einen Schlag gegen die Stirn. Er sah einen Schwertknauf in einer haarigen Hand, dann nur noch Schwärze, dunkler als die Nacht…
Übelkeit drohte ihn zu übermannen. Mit jedem Schaukeln, jedem Schlingern stieg sie in ihm hoch. Im ersten Augenblick meinte Siegfried, auf einem Pferd zu liegen oder auf einem Maultier. Aber er lag mit der Seite auf hartem, splittrigem Holz, die Hände so fest auf den Rücken gebunden, daß es schmerzte. Unablässig dieses Schaukeln. Er würgte, doch er brachte nichts aus sich heraus.
»Tu dir keinen Zwang an, Siegfried. Wir sind hier nicht in feiner Gesellschaft.« Die Stimme drang aus der Dunkelheit, ganz in seiner Nähe.
»Grimbert?« fragte er zögernd.
»Ja«, knurrte die Stimme mürrisch. »Der Tor Grimbert liegt ganz dicht neben dir.«
»Warum nennt Ihr Euch einen Tor?«
»Weil wir dem Verräter Reinhold in die Falle gegangen sind, der kluge Grimbert und der tapfere Siegfried. Du warst der Lockvogel für mich und ich der deine. Und jetzt hat er uns beide!«
»Wo sind wir?«
»Im Frachtraum eines Schiffes. Da wir keinen Riemenschlag hören und trotzdem rasch vorankommen, wie du an dem starken Schaukeln merkst, wird die Fahrt wohl flußabwärts gehen. Ich kam wieder zu mir, als mich Reinholds Schergen wie einen Sack Rüben unter Deck warfen.«
»Flußabwärts«, sagte Siegfried. »Da liegt die Schwertburg.«
»Daran dachte ich auch schon. Zumindest leben wir noch, und das bedeutet Hoffnung!«
Siegfried versuchte vergeblich, sich zu bewegen. Er war mit mehreren Riemen oder Stricken zusammengeschnürt. »Hoffnung worauf?«
»Darauf, Reinhold und damit das Böse zu besiegen.«
»Eure Zuversicht scheint größer als Eure Klarheit, was die Einschätzung unserer Lage betrifft, Oheim.«
»Ja, leider. Wäre ich Reinhold schon früher auf die Spur gekommen, wäre Siegmund und mir vieles erspart geblieben, und wir wären nicht zu ruhelosen Wanderern geworden.«
»Wieso nennt Ihr meinen Vater einen Wanderer?«
»Nur eine unüberlegte Bemerkung«, erwiderte Grimbert schnell.
Siegfried spürte, wie die Erregung in ihm aufstieg. »Was ist mit meinem Vater?«
»Er büßt für seine Sünden.«
»Ihr meint, im Fegefeuer?«
»Ich meine auf dieser Welt, wenn sie auch manchmal dem Fegefeuer ähnelt.«
»Das… das bedeutet…« Es war so ungeheuerlich, daß die Worte nicht über Siegfrieds Lippen dringen wollten.
»Ja«, erwiderte Grimbert mit fester Stimme. »König Siegmund ist nicht im Kampf gegen die Friesen gefallen. Wir, Reinhold und ich, täuschten seinen Tod nur vor. Siegmund selbst befahl es uns. Einem lebenden König der Niederlande hätte König Hariolf die Untaten niemals verziehen. Nur mit einem toten Siegmund hatte unser Land Aussicht auf Frieden.«
»Weiß meine Mutter…«
»Nein, niemand sollte es wissen. Mag sein, daß sie es ahnt. Vielleicht hat sie deshalb keinen neuen Gemahl erwählt.«
»Wo ist mein Vater?«
»Das weiß ich nicht. Seit damals, als er das Runenschwert zerbrach, habe ich nichts von ihm gehört. Er wollte als einfacher Wanderer durch die Lande ziehen, bis er ein Zeichen der Vergebung erhält.«
»Vergebung – von wem?«
»Von Gott vielleicht. Oder von Wodan.« Grimbert seufzte schwer, als wisse er es selbst nicht.
»An wen glaubt Ihr, Grimbert? An Gott und Jesus Christus? Oder an Wodan, den Göttervater?«
»Das geht nur mich etwas an«, brummte Siegfrieds Oheim.
Für eine Weile herrschte Schweigen. Man hörte nur das Plätschern der Wellen, das Ächzen und Knarren der Spanten und Planken. Gewiß war die Nachricht über König Siegmund eine unglaubliche Eröffnung. Aber in den letzten Tagen war soviel Unglaubliches geschehen, daß Siegfried nicht an Grimberts Worten zweifelte. Es gab auch keinen Grund dazu. Reinhold hatte sich als Verräter erwiesen, Grimbert hingegen als Freund, zumindest als Verbündeter. Aber wirkliche Freude, daß sein Vater noch lebte, wollte in Siegfried nicht aufkommen. Schuld daran war vielleicht seine Lage, die ihm, Grimberts Worten zum Trotz, wenig hoffnungsvoll erschien. Vielleicht war es auch das Gefühl, den Vater verraten zu haben, als Siegfried seinem Zuchtmeister zu dem Runenschwert verhalf.
»Will Reinhold das Runenschwert für seine Zwecke benutzen?« fragte der junge Xantener, auch um das düstere Schweigen zu durchbrechen.
»Ja. Erst diente es ihm, indem du es gegen Harko führtest. Jetzt wird es in Reinholds Händen noch mehr
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