Nibelungen 05 - Das Runenschwert
Friesen töten – und nicht nur Friesen.«
»Warum hat er es nicht selbst geholt? Er wußte doch die ganze Zeit über, wo es war.«
»Anfangs mußte er befürchten, von mir dabei ertappt zu werden. Später, als ich mich zurückzog, um meine Kenntnis der Runen zu vertiefen, bewachten Wodans Tiere das Schwert. Es war ungefährlicher für Reinhold, dich auszuschicken. Außerdem brauchte er dich als Sündenbock, um mit Harkos Tod einen Krieg auszulösen.«
»Wodans Tiere«, flüsterte Siegfried. Er dachte an die lautlose Stimme, die er in der Wolfsburg und in der Schlangenhöhle gehört hatte. In wenigen Worten berichtete er Grimbert von seinen Abenteuern.
Grimbert starrte den Prinzen finster an. »Du hast Wodans Warnungen mißachtet und die Wächter getötet, die er geschickt hatte, das Runenschwert zu behüten. Weißt du denn nicht, daß Wodan nur ein Auge hat? Das andere opferte er, um die Weisheit der Runen zu erlangen.«
»Welches Auge ist ihm geblieben?« Siegfried dachte an den großen Wolf und an die Wasserschlange. »Das linke?«
»Ja, das linke.«
»Dann habe ich tatsächlich Wodans Wächter getötet! Aber wer sandte den großen roten Falken?«
»Ich sandte ihn!« Mit einem lauten Quietschen wurde die Luke geöffnet, und diffuses Nachtlicht waberte in den Frachtraum. Helleres Licht folgte, als Reinhold mit einer Laterne in der Hand nach unten stieg. Er verschloß die Luke wieder über sich. Der Graf von Glander trug das Wehrgehänge, das er Siegfried geschenkt hatte. In der Scheide steckte das Runenschwert. »Ich schickte den Falken aus, dir zu helfen, mein Sohn. Schließlich wollte ich dich wohlbehalten zurückhaben.«
»Mich oder das Runenschwert?«
»Damals war mir sehr an dir gelegen. Jetzt allerdings ist mir das Schwert der Götter wichtiger.«
»Ich hatte solch einen Falken noch nie gesehen«, rief Siegfried ungläubig aus.
»Ich auch nicht«, erwiderte Reinhold kühl. »Bis ich eines Nachts wieder vom Feuergott träumte. Als ich erwachte, saß der Falke auf meinem Fenstersims. Ohne daß es mir jemand sagen mußte, wußte ich, daß er kommen würde, wann immer ich ihn rief.«
»Ihr seid also wirklich ein Diener des Feuergottes!« Grimbert spie vor Reinhold aus. »Ein Gott, der die anderen Götter verrät. Und ein Niederländer, der sein Reich, sein Volk und seine Königin verrät.«
»Nicht ich bin der Verräter«, entgegnete Reinhold. »All jene sind es, die dem Christengott dienen oder helfen, seine Macht zu stützen. Es führt zu nichts Gutem. Wer sich auf einen schwachen Gott verläßt, der ist verlassen!«
Er sprach mit wachsendem Grimm. Seine Augen flackerten unstet, die Stimme vibrierte.
»Wie kommt Ihr darauf, der Christengott sei schwach?« fragte Siegfried.
»Ich habe es selbst erfahren.« Reinhold klang jetzt düster. »Früher tauften wir unsere Kinder im Namen der alten Götter, um ihren Schutz zu erflehen. Aber was hat der Christengott mit meinem Sohn gemacht, obwohl der Bischof selbst ihn taufte?«
»Deshalb Euer ganzer Haß?« fragte Grimbert ungläubig. »Weil Euer Sohn im Kindbett starb?«
»Vergeßt nicht, daß seine Mutter ihm folgte, Grimbert«, rief Reinhold. »Ich jedenfalls verstand, als mir kurz darauf der Feuergott erschien und mich aufforderte, die Macht des Christengottes auf die Probe zu stellen. Sie war nichts gegen das Feuer, das sein Haus vernichtete. Nichts gegen den Stahl, der seinen Diener fraß!«
»Das Bild fügt sich zusammen«, sagte Grimbert ohne jede Freude über diese Erkenntnis. »Reinhold der Verräter ist zugleich der Brandstifter und der Priestermörder!«
»Und der Rächer!« schrie der Graf von Glander. »An der Spitze der niederländischen Recken werde ich die Friesen schlagen. Der Feuergott wird über die beiden Länder herrschen. Und dann werde ich den Christengott bekämpfen, bis die Welt aus seinen Klauen befreit ist!«
»So einfach wird das nicht gehen«, preßte Siegfried wütend hervor. »Meine Mutter, die Königin, wird das nicht zulassen.«
»Die Königin wird nicht mehr lange Königin sein«, lachte Reinhold. »Ich werde ihr berichten, die Friesen hätten ihren geliebten Sohn entführt. Und sobald es in meine Pläne paßt, werde ich ihr auch deine Leiche präsentieren. Nach dem vorgeblichen Tod ihres Mannes wird ihr dieser neuerliche Verlust das Herz brechen. Sie wird mir vollkommen freie Hand lassen und gar nicht merken, daß ich der eigentliche Herrscher der Niederlande bin.«
»Und welchen Platz habe ich in Euren
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