Nibelungen 07 - Das Zauberband
sein konnte, aber er fand, daß ein schauriges altes Weib für einen solch holden Knaben ein Alptraum sein mußte. Er bedauerte den Jungen zutiefst.
»Geht dort hinüber.« Inmee zeigte mit ihrem verknöcherten Finger auf Norwins Lagerstätte. »Und legt Euch auf den Rücken!«
Der Junge gehorchte, während er mit großen Augen zusah, wie Inmee ihren Umhang öffnete. Norwin hatte den Eindruck, daß die Priesterin, seitdem sie sein Zelt betreten hatte, noch älter geworden war. Angewidert schaute er zu, wie der schwere, schwarze Stoff ihres Kleides von ihren ausgedörrten Schultern hinabfiel. Die faltigen, grauen Brüste hingen flach und leer auf ihren eingefallenen Bauch herunter. Der Krieger schaute Herod an, in dessen Blick nur noch reines Entsetzen zu lesen war.
Mühsam ließ das alte Weib sich auf ihre knorrigen Knie nieder und kroch mit geifernden Lippen über den Jungen herüber.
Norwin überfiel bei diesem Anblick ein ungeahnter Zorn. Ehe er genau wußte, was er tat, hatte er mit beiden Händen sein Schwert ergriffen und zum Schlag ausgeholt. Er wollte diesen Dämon von einem Weib für alle Ewigkeit auslöschen, wollte ihr gleich einer Schlange hier und jetzt den Kopf vom Halse trennen. Doch noch ehe das Schwert sie traf, drehte die Priesterin sich zu Norwin um, als habe sie jede seiner Bewegung genau gesehen. Die dunkle, stechende Macht ihres Blickes traf ihn mitten ins Herz. Die Klinge blieb wie von Geisterhand gehalten in der Luft stehen, ohne daß der Krieger etwas daran ändern konnte.
Herod begann sich, in der Annahme, die Priesterin sei abgelenkt, unter ihr herauszuwinden. Aber Inmee ließ es nicht zu, sondern packte den Jungen wie beiläufig am Handgelenk.
»Agoid Eth«, sagte die Priesterin dann leise.
Norwin fühlte, kaum daß die Frau diese Worte ausgesprochen hatte, eine dumpfe Hoffnungslosigkeit in sich. Plötzlich erschien ihm die Macht dieser Frau wieder so unendlich groß, daß er sich selbst einen Narren schalt, nach der Waffe gegriffen zu haben. Kraftlos ließ er das Schwert sinken.
Die Priesterin warf ihm einen prüfenden Blick zu, um sicherzugehen, daß ihr von ihm keine weitere Gefahr mehr drohte, dann wandte sie sich wieder dem Jungen zu. Ihre nun fast ergrauten Haare berührten wie Spinnweben seine Haut.
»Nein, Herrin«, rief Herod. »Bitte!« Aber es klang nicht mehr so verzweifelt wie zuvor. Auch dem Jungen wurde plötzlich die Ausweglosigkeit seiner Situation klar.
Inmee kroch noch ein Stück höher. Schließlich senkte sie ihr Haupt über das schlaffe Glied des Jungen und berührte es mit ihren gierigen Lippen so heftig, daß der Bursche aufschrie.
Seine Angst schien sich ihrem Zauber nicht so schnell ergeben zu wollen. Noch einmal flammte die Verzweiflung in ihm auf. Norwin beobachtete, wie Herod versuchte, ihrem gierigen Mund zu entkommen, aber er wußte, daß der Junge nicht die geringste Chance hatte. Ihre Zähne gruben sich immer tiefer in sein Fleisch. Dunkel sickerte tiefrotes Blut über Herods Lenden.
Norwin wandte sich ab. Der Gesandte des reitenden Volkes aus den südlichen Regionen der Feuerberge war so gut wie tot.
Plötzlich war die Luft im Zelt stickig und schwer. Es roch nach Blut und Angst. Norwin sehnte sich nach der frischen, kühlen Nachtluft, die ihn vielleicht aus diesem Alptraum aufwecken konnte, und verließ, ohne einen weiteren Blick auf den Burschen zu werfen, sein Zelt. Draußen war der Wind rauher geworden. Es fröstelte ihn. Doch die Kälte vermochte ihn nicht von Herods Geschrei abzulenken, das immer kläglicher nach draußen drang. Norwin ging langsam zum Lagerfeuer. Wenn er noch Zeit hatte, würde er dem Jungen ein Grab ausheben, gleich hier auf der Ebene.
Einer der Wachen, die immer noch schweigend dasaßen, hob den Kopf und warf ihm einen fragenden Blick zu.
Norwin zuckte mit den Schultern und ließ sich schweigend auf einem Stein nieder.
»Was Auffälliges?« fragte er den anderen, um sich von den düsteren Gedanken abzulenken.
»Nur ein Kater, der ums Lager herumschleicht!« sagte der andere, ohne aufzuschauen.
Norwin nickte. Ja, den Kater hatte er an diesem Abend auch schon bemerkt. Es war ein kräftiges Tier von ungewöhnlicher Schönheit mit dunklen Augen, die ihn einen Herzschlag lang angesehen hatten.
2. KAPITEL
aban horchte angestrengt. Das Röcheln des Jungen war verstummt. Sehen konnte er ihn nicht, da das kleine Loch, das er in das weiche Leder des Zeltes geschnitten hatte, nicht groß genug war, um den ganzen Innenraum
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