Nibelungengold 04 - Die Hexenkönigin
doch beiden so schwer ums Herz war. Jodokus’ Schmerzen wurden schlagartig besser, und bald schon stiegen sie wieder auf Lavendels Rücken.
»Ein Rätsel«, sagte Jodokus plötzlich. »Was ist das: Zwei geben es und fünf nehmen es?«
Kriemhild überlegte vergeblich. »Sag’s mir.«
»Nasenrotz.« Und darüber lachte er so herzlich und roh, daß Kriemhild nicht anders konnte, als einzufallen.
Und so ritten sie weiter, lachten viel und redeten Unsinn, während vor ihnen die Sonne höher stieg und die Schatten der Bäume kürzer wurden.
Aus der Nähe besehen wirkte Salomes Zopf nicht mehr ganz so ebenmäßig und kunstvoll in die Landschaft drapiert wie von fern. Die Bergkuppen waren zerklüfteter, als es am Morgen den Anschein gehabt hatte, und selbst dort, wo der Wald noch nicht Fuß gefaßt hatte und die Erde weitgehend eben war, zeigten sich erste Spalten im Boden, so daß sie achtgeben mußten, wohin Lavendel die Hufe setzte.
Sie hatten den Waldrand kaum erreicht, als Jodokus bei einem seiner regelmäßigen Blicke über die Schulter etwas entdeckte.
Er gab Kriemhild einen sanften Stoß. »Sieh dir das an!«
Sie folgte seinem Blick und entdeckte einen dunklen Punkt im Grün der Wiesen, unweit der Straße und noch viele Bogenschußweiten entfernt. Als sie die Augen zusammenkniff, erkannte sie, daß es ein Pferd war. Darauf saßen zwei Gestalten, eine groß und dunkel, die andere klein und verloren.
»Wie lange werden sie brauchen, ehe sie hier sind?« fragte Jodokus.
»Hagen wird sein Pferd nicht schonen«, gab Kriemhild nachdenklich zurück. »Aber ich glaube, im Wald wird er uns kaum wiederfinden.«
Jodokus starrte immer noch aufmerksam ihren Verfolgern entgegen. »Den Jungen hat er also tatsächlich mitgenommen.«
»Vielleicht ist das gar nicht so sonderbar.«
»Wie meinst du das?«
Aber Kriemhild hatte ihre Aufmerksamkeit schon wieder dem Waldrand zugewandt. Die Bäume standen ungemein dicht und waren von verschlungenem Dickicht durchwoben. »Wir müssen einen Weg hinein finden.«
Die Straße führte, von zahlreichen Rissen durchbrochen, bis zu den Wurzeln der vorderen Bäume. Dort aber schien es, als habe der Wald ihren weiteren Verlauf regelrecht verschluckt; zwischen Ranken und Büschen war kein einziger Pflasterstein zu erkennen. Auch war es seltsam, daß die Spalten im Boden offenbar erst entstanden waren, nachdem die Straße angelegt worden war. Etwas mußte die Erde bis in ihre Grundfesten erschüttert haben, um solche Zerstörungen zu bewirken.
Statt sich aber von diesen Beobachtungen beunruhigen zu lassen, fühlte Kriemhild sich durch sie nur in der Überzeugung bestärkt, daß ihr Entschluß der richtige war. Dies war ein mächtiger Ort, und Berenike mußte eine mächtige Frau sein, wenn sie hier lebte. Mächtig genug, das Elend der Pest zu beenden.
»Sieht aus, als müßten wir uns durch die Büsche schlagen«, sagte Jodokus und wirkte dabei nicht allzu glücklich.
»Du kannst immer noch hierbleiben.«
»Und dich allein da reingehen lassen? Kommt gar nicht in Frage.«
»Du wirst mir nur deine Götter auf den Hals hetzen.« Sie hatte scherzhaft klingen wollen, dabei aber vergessen, daß er in diesem Punkt keinen Spaß verstand. Er wurde sofort kreidebleich, als hätte er viel zu lange keinen Gedanken an die Gefahr verschwendet, die er zu Anfang ihrer gemeinsamen Reise gar nicht oft genug hatte heraufbeschwören können.
Um ihn abzulenken, sagte Kriemhild schnell: »Du mußt mir etwas versprechen.«
»Was?« Seine Stimme schwankte noch immer, als sei er im Geiste ganz woanders.
»Sobald wir an Berenikes Schwelle stehen, werden wir uns trennen.«
»Keine Sorge«, entgegnete er gefaßt. »Ich bin nicht wild darauf, diesem Weib gegenüberzutreten. Obwohl ihr die Begegnung mit einem rechten Mann vielleicht ganz guttäte.«
»Du bist ein Scheusal!«
»Sie muß häßlich wie die Nacht sein, wenn sie es nötig hat, sich an solch einem Ort zu verstecken.«
»Jodokus!« Kriemhild tat empört und unterdrückte ein Grinsen. »Nicht jeder ist so aufs Äußere bedacht wie du.«
»Ein Glück für dich! Wer weiß, ob es ein anderer so lange mit dir ausgehalten hätte.«
Kriemhild rümpfte die Nase, dann stieg sie vom Pferd und näherte sich zu Fuß dem Wald. Von seiner Wildheit und Unzugänglichkeit abgesehen, wirkte er nicht gefahrvoller als jeder andere Forst im Burgundenreich. Dennoch überkam sie Beklommenheit.
»Was geschieht mit dem Pferd?« fragte Jodokus, als auch er zu Boden
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