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Nibelungengold 04 - Die Hexenkönigin

Nibelungengold 04 - Die Hexenkönigin

Titel: Nibelungengold 04 - Die Hexenkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander (Kai Meyer) Nix
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umrunden, ehe sie ans Ziel gelangten. Kurz vorher verstellte der Prinz Kriemhild noch einmal den Weg. »Was Ihr sehen werdet«, sagte er traurig, »geschieht nicht auf meinen Wunsch hin. Aber manchmal muß auch ein Rudelführer dem Willen seiner Wölfe folgen. Und meine Wölfe wollen das Blut dieser Hexen.«
    Kriemhild starrte einen Moment lang in seine schmalen, dunklen Augen und wunderte sich über die sonderbare Melancholie darin. Dann schob sie ihn grob beiseite und setzte eilig ihren Weg über den Wehrgang fort.
    Und endlich sah sie, was er meinte.
    Im nördlichen Teil der Festung, gleich unterhalb der Mauer, gab es einen kleinen Platz aus Pflastersteinen. Eine stattliche Anzahl von Hunnenkriegern hatte sich dort versammelt und folgte mit starren Blicken einem grausamen Schauspiel. In der Mitte des Platzes war aus Weidenzweigen und Brettern eine riesige Gestalt errichtet worden, fast so hoch wie der Wehrgang. Ein breiter Leib und gehörnter Schädel, beides aus hölzernem Gitterwerk, erhob sich wie ein archaischer Hohepriester inmitten der Hunnenschar.
    Der Bauch der Holzgestalt war hohl. Einen Einstieg an der Vorderseite hatten die Hunnen mit straff gespannten Seilen versperrt. Ein gutes Dutzend Hände kratzte und zerrte von innen an den Knoten, vergeblich. Verzweifelte Schreie drangen aus dem Gitterleib, haltloses Weinen und Flehen. Eine Gruppe junger Frauen und Mädchen, einige noch im Kindesalter, war im Inneren des dämonischen Weidenmannes gefangen. Alle trugen lange weiße Gewänder. Mehrere Fackelträger rund um das grotesk-entsetzliche Gefängnis ließen keinen Zweifel an dem, was den Frauen bevorstand.
    Etzel trat neben Kriemhild, die immer noch starr am Rand des Wehrgangs stand und in den Abgrund des Hofes blickte. Das Schreien und Weinen der Frauen verschmolz zu einem fremdartigen Klangteppich, der Kriemhild umwob wie ein Gespinst aus giftigen Dornenranken.
    »Sagt jetzt nichts«, flüsterte Etzel, »sondern hört mir nur zu.«
    Kriemhild fuhr mit einem Ruck herum. »Nichts sagen?« Sie deutete mit bebender Hand auf den Weidenmann. »Und Ihr wagt es, Eure Krieger mit denen des Burgundenreichs zu vergleichen? Ihr wagt es, mir eine Rede darüber zu halten, daß im Krieg alle gleich sind?« Sie spie ihm voller Verachtung ins Gesicht. »Großer Gott, ich hätte Euch beinahe geglaubt!«
    »Und weise wäret Ihr gewesen, hättet Ihr es getan«, sagte er und wischte sich achtlos ihren Speichel von der Wange. »Was dort geschieht, geschieht nicht auf meinen Wunsch hin.«
    Sie lachte ihm voller Hohn entgegen. »Wollt Ihr damit sagen, Eure Männer hätten gegen Euch gemeutert?«
    »Nein, natürlich nicht. Sie gehorchen mir aufs Wort.«
    »Dann macht dem ein Ende!«
    »Das kann ich nicht.«
    »Ihr seid erbärmlich in Euren Widersprüchen.«
    Er zuckte mit den Schultern. »Denkt über mich, wie Ihr wollt. Und dennoch bitte ich Euch, mir zuzuhören.« Während er sprach, trat einer der Hunnen vor und vollführte mit geschlossenen Augen heidnische Gesten vor dem Käfig. Er trug lange Gewänder, sein Gesicht war mit bizarren Zeichen bemalt. Ein Priester, der seinen Göttern ein Opfer weihte.
    »Der Sturm auf diese Festung hat viele meiner Männer das Leben gekostet«, sagte Etzel und blickte Kriemhild dabei fest in die Augen. »Wir wußten nicht, was uns hier erwartet. Mein Vater sandte uns als Spähtrupp in diesen Teil Eures Reiches, und wir glaubten, diese Burg sei aufgrund ihrer abgelegenen Lage ein guter Ausgangspunkt für verborgene Vorstöße in Eure Ländereien. Wir kamen nicht, um Krieg zu fuhren, sondern nur um zu beobachten, zu horchen und das Erfahrene heim zum Hof meines Vaters zu tragen.« Er seufzte leise. »Ich gestehe, wir wußten nicht, auf was wir uns einließen, als wir vor zwei Tagen diese Burg angriffen.«
    Kriemhild blickte abwechselnd zwischen ihm und dem Weidenmann hin und her. Das Schreien und Bitten der Frauen ertönte immer höher und schriller.
    Etzels bronzene Rüstung klirrte bei jeder Bewegung. »Ich hatte früher schon von der Erzhexe Berenike gehört, aber niemals hätte ich sie hier vermutet, in diesen Mauern. Als wir die Felsen erklommen, stürzte uns eine Felslawine entgegen, und ich schwöre, sie kam aus dem Nichts. Aus dem Nichts, Kriemhild, versteht Ihr? Fast ein Drittel meiner Männer wurde in die Tiefe gerissen, noch bevor sie überhaupt begriffen, was geschah. Wir sind Hunnen, und wir sterben mit einem Schwert in der Hand! Wir werden nicht von ein paar Steinen erschlagen!«

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