Nicholas Flame Bd. 1 Der Unsterbliche Alchemyst
welches der andere war. Und er hätte gern gewusst, ob ihre Kräfte geformt und in bestimmte Richtungen gelenkt werden konnten, je nachdem, welche Anweisungen sie erhielten. Den Jungen zu finden, war inzwischen genauso wichtig, wie die fehlenden Seiten des Codex aufzutreiben. Er musste diese goldene Aura haben.
Dr. John Dee hatte um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert einmal kurz in Ojai – es hieß damals noch Nordhoff – gewohnt, als er die umliegenden Grabfelder der Chumash-Indianer wegen ihrer kostbaren Grabbeigaben geplündert hatte. Er hatte den Ort gehasst. Ojai war zu klein, zu abgeschieden und in den Sommermonaten schlicht zu heiß für ihn gewesen. Viel wohler fühlte Dee sich in den Großstädten, wo es einfacher war, unsichtbar und anonym zu bleiben.
Er war mit dem unternehmenseigenen Hubschrauber von San Francisco nach Santa Barbara geflogen und hatte dann an dem kleinen Flughafen einen unscheinbaren Ford gemietet. Damit war er nach Ojai gefahren und rechtzeitig zu dem spektakulären Sonnenuntergang angekommen, der die Stadt in lange, elegante Schatten tauchte. Ojai hatte sich in den circa hundert Jahren, in denen er nicht mehr hier gewesen war, dramatisch verändert… Aber er mochte es immer noch nicht.
Dee bog auf die Hauptstraße ein und fuhr langsamer. Flamel und die anderen waren ganz in der Nähe, das spürte er. Aber er musste jetzt vorsichtig sein. Wenn er sie spürte, konnten sie – vor allem Flamel und Scathach – auch ihn spüren. Und er wusste immer noch nicht, wozu die Hexe von Endor in der Lage war. Es machte ihm schwer zu schaffen, dass eine der mächtigsten Erstgewesenen in Kalifornien lebte und er bisher absolut nichts davon gewusst hatte. Er hatte sich eingebildet, er wüsste, wo auf der Welt sich die wichtigsten Älteren und unsterblichen Menschen aufhielten. Dee fragte sich auch, ob es etwas zu bedeuten hatte, dass er die Morrigan den ganzen Tag über noch nicht erreichen konnte. Er hatte sie in regelmäßigen Abständen auf dem Weg hierher angerufen, doch sie ging nicht an ihr Handy. Vielleicht spielte sie eines dieser nie endenden Online-Strategiespiele, nach denen sie süchtig war. Wo Bastet war, wusste er ebenfalls nicht, aber das kümmerte ihn auch nicht. Sie machte ihm Angst, und Dee neigte dazu, Leute, die ihm Angst einjagten, umzubringen.
Flamel, Scathach und die Zwillinge konnten überall in der Stadt sein. Nur wo genau?
Dee ließ ein wenig Energie in seine Aura fluten. Er blinzelte, als sich seine Augen plötzlich mit Tränen füllten, und blinzelte noch einmal, um wieder einen klaren Blick zu bekommen. Plötzlich waren die Menschen in dem Wagen neben ihm oder die Fußgänger auf dem Bürgersteig von unterschiedlich gefärbten und sich ständig verändernden Auren umgeben. Einige waren lediglich schwach getönte Rauchkringel, andere wiesen dunkle Stellen auf, Punkte und Streifen in kompakten Schlammfarben.
Am Ende entdeckte er sie per Zufall. Er fuhr die Hauptstraße hinunter und war gerade am Libbey-Park vorbeigekommen, als er den schwarzen Hummer in der Fox Street stehen sah. Er parkte direkt dahinter. Im selben Moment, als er aus dem Wagen stieg, sah er im Park beim Brunnen kurz eine reingoldene Aura aufleuchten. Dee kräuselte die Lippen zu einem kalten Lächeln.
Dieses Mal würden sie ihm nicht entkommen.
Josh Newman saß auf der niedrigen Brunneneinfassung im Libbey-Park direkt gegenüber dem Antiquitätenladen und starrte ins Wasser. Zwei Schalen in Blütenform, eine etwas größer als die andere, standen übereinander in der Mitte des runden Beckens. Aus der oberen Schale sprudelte Wasser, das über den Rand in die untere, größere Schale floss und von dort in das Becken. Über dem Plätschern des Wassers konnte man fast die Verkehrsgeräusche vergessen.
Josh fühlte sich allein und von Gott und der Welt verlassen.
Als die Hexe ihm gesagt hatte, er müsse den Laden verlassen, war er unter den Arkaden entlanggegangen und vor der Eisdiele stehen geblieben, angelockt vom Schokoladen- und Vanillearoma. Er hatte draußen gestanden und die Liste exotischer Eissorten studiert und sich gefragt, warum die Aura seiner Schwester nach Vanille roch und seine nach Orangen. Sie machte sich nichts aus Vanille-Eiscreme; er war derjenige, der verrückt danach war.
Er tippte mit dem Finger auf die Karte: Blaubeereis mit Schokoladenstückchen.
Dann fuhr er mit der Hand in die Tasche seiner Jeans… und bekam Panik, als er feststellte, dass sein Geldbeutel
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