Nicholas Flame Bd. 1 Der Unsterbliche Alchemyst
nicht mehr da war. Hatte er ihn im Wagen liegen lassen? Hatte er…? Er erstarrte.
Er wusste genau, wo er ihn hatte liegen lassen.
Als er seinen Geldbeutel zum letzten Mal gesehen hatte, lag er zusammen mit seinem leeren Handy, seinem iPod und dem Laptop auf dem Boden neben dem Bett in seinem Zimmer im Weltenbaum. Dass der Geldbeutel weg war, war schlimm genug, aber dass der Computer fehlte, war eine Katastrophe. Seine sämtlichen E-Mails waren darauf, seine Schularbeiten, ein halbfertiges Referat, mit dem er hätte Pluspunkte sammeln können, die Fotos der letzten drei Jahre – einschließlich des Trips nach Cancún an Weihnachten – und mindestens 60 MP3-Downloads. Er konnte sich nicht mehr erinnern, wann er die Daten das letzte Mal herausgespeichert hatte; es musste schon länger her sein. Josh wurde schlecht und plötzlich rochen die Düfte aus der Eisdiele gar nicht mehr süß und verlockend.
Durch und durch unglücklich ging er bis zur Ecke und überquerte die Straße an der Ampel beim Postamt, wandte sich dann nach links und ging Richtung Park.
Der iPod war ein Weihnachtsgeschenk seiner Eltern gewesen. Wie sollte er ihnen erklären, dass er ihn verloren hatte?
Doch noch schlimmer als der Verlust seines iPods, des Geldbeutels und selbst seines Computers war der Verlust seines Handys. Das war der absolute Albtraum. Die Nummern sämtlicher Freunde waren dort gespeichert, und er wusste, dass er sie nirgendwo sonst aufgeschrieben hatte. Weil ihre Eltern so viel unterwegs waren, waren sie meist nur ein oder zwei Halbjahre an einer Schule gewesen. Seine Schwester und er hatten immer schnell Freundschaft geschlossen – vor allem Sophie – und hatten noch Kontakt zu Leuten, die sie vor Jahren an Schulen in ganz Amerika kennengelernt hatten. Wie sollte er sie ohne die Mailadressen und Telefonnummern je wieder erreichen können?
In einer Nische vor dem Eingang zum Park war ein Wasserspender, und Josh beugte sich hinunter, um einen Schluck zu trinken. In die Wand darüber war ein Löwenkopf aus Metall eingelassen und darunter eine kleine rechteckige Tafel mit der Aufschrift: Liebe ist das Wasser des Lebens, trinke reichlich davon.
Josh ließ das eiskalte Nass über seine Lippen laufen und richtete sich dann wieder auf, schaute hinüber zum Laden und fragte sich, was darin wohl gerade passierte. Er liebte seine Schwester immer noch, aber liebte auch sie ihn? Konnte sie ihn überhaupt noch lieben, jetzt, wo er so… gewöhnlich war?
Im Libbey-Park war es ziemlich still. Auf dem Spielplatz in der Nähe hörte Josh Kinder toben, doch ihre Stimmen waren hoch und schienen aus weiter Ferne zu kommen. Drei alte Männer, alle in kurzärmeligen Hemden, langen Shorts, weißen Socken und Sandalen saßen auf einer Bank im Schatten. Einer der Männer fütterte ein paar dicke, faule Tauben mit Brotkrumen. Josh setzte sich auf den niedrigen Rand des Brunnenbeckens und ließ die Hand ins Wasser hängen. Nach der drückenden Hitze war das herrlich kühl. Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und spürte, wie ihm Wassertropfen den Nacken hinunterliefen.
Was sollte er tun?
Gab es überhaupt etwas, das er tun konnte?
In etwas mehr als 24 Stunden hatte sich sein Leben – und das seiner Schwester – vollkommen und vollkommen unbegreiflich verändert. Was er bisher lediglich für frei erfundene Geschichten gehalten hatte, hatte sich plötzlich als erzählte Wahrheiten herausgestellt. Aus Mythen waren geschichtliche Ereignisse geworden, aus Legenden Fakten. Als Scatty erwähnt hatte, dass das geheimnisvolle Danu Talis auch Atlantis genannt wurde, hätte er sie fast ausgelacht. Für ihn war die Geschichte von Atlantis immer ein Märchen gewesen. Doch wenn Scathach und Hekate, die Morrigan und Bastet echt waren, war es auch Danu Talis. Und die Erkenntnisse der Archäologie, das Lebenswerk seiner Eltern, waren plötzlich nichts mehr wert.
Tief drinnen wusste Josh, dass er auch seine Zwillingsschwester verloren hatte, die einzige Konstante in seinem Leben, die Person, auf die er immer hatte zählen können. Sie hatte sich auf eine Art und Weise verändert, die er nicht einmal ansatzweise verstehen konnte. Warum war nicht auch er erweckt worden? Er hätte darauf bestehen sollen, als Erster dranzukommen. Wie es wohl war, solche Kräfte zu besitzen?
Aus den Augenwinkeln heraus sah Josh, dass ein Mann sich ein Stück von ihm entfernt ebenfalls auf den Brunnenrand gesetzt hatte, doch er ignorierte ihn. Geistesabwesend kratzte er an
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