Nicholas Flame Bd. 1 Der Unsterbliche Alchemyst
aussehende Mann breitete weit die Arme aus, als spanne er einen Bogen. »Schaut mich an. Schaut mich an! Ich bin älter als Amerika. Das ist das Besondere an diesem Buch.« Flamel senkte die Stimme und fuhr eindringlich fort: »Aber soll ich euch etwas sagen? Das Geheimnis ewigen Lebens ist wahrscheinlich das kleinste Geheimnis im Codex.«
Sophie griff nach der Hand ihres Bruders. Er drückte sie leicht, und sie wusste, ohne dass er etwas sagte, dass er genauso viel Angst hatte wie sie.
»Mit dem Codex kann Dee sich daranmachen, die Welt zu verändern.«
»Verändern?«, flüsterte Sophie heiser. Plötzlich ließ die Mailuft sie frösteln.
»Wie verändern?«, wollte Josh wissen.
»Neu erschaffen«, antwortete Flamel leise. »Dee und die Dunklen des Älteren Geschlechts, denen er dient, wollen die Welt wieder zu dem machen, was sie vor unvorstellbar langer Zeit war. Und Menschen haben darin nur einen Platz als Sklaven. Oder als Nahrungsmittel, das man verschlingt.«
KAPITEL SECHS
A uch wenn es andere Kommunikationsmittel für ihn gegeben hätte, bevorzugte Dr. John Dee das beliebteste Mittel dieses Jahrhunderts: das Handy. Er lehnte sich in das kühle Leder des Limousinensitzes zurück, klappte sein Handy auf, richtete es auf Perenelle Flamel, die bewusstlos neben einem tropfenden Golem hockte, und machte rasch ein Foto.
Madame Perenelle Flamel. Seine Gefangene. Das war ja nun wirklich was fürs Fotoalbum.
Dee tippte eine Nummer ein und drückte auf »Senden«. Dann betrachtete er die elegante Frau neben ihm auf dem Rücksitz. Dass er Perenelle hatte entführen können, war riesiges Glück gewesen, und er wusste, dass es ihm nur gelungen war, weil sie bei der Vernichtung seines Golems so viel Energie verbraucht hatte. Er strich sich über den kleinen Spitzbart. Bald würde er neue Golems erschaffen müssen. Er betrachtete den, der neben Perenelle saß. In der kurzen Zeit, die er der frühen Nachmittagssonne ausgesetzt war, hatte er schon angefangen, Risse zu bekommen und zu zerfließen. Schwarzer Flussschlamm tropfte auf die Ledersitze.
Vielleicht war es doch besser, das nächste Mal keine Golems mehr zu nehmen. Die rohen Gesellen funktionierten in einem feuchteren Klima ganz gut, aber für einen Sommer an der Westküste waren sie ganz und gar nicht geeignet.
Das wahre – und wirklich ernste – Problem stellte jedoch Perenelle dar. Dee wusste ganz einfach nicht, welche Kräfte sie besaß. Seit Jahrhunderten hatte er die große, elegante Französin immer bewundert. In der ersten Zeit, als er Lehrling bei Nicholas Flamel, dem Alchemysten, gewesen war, hatte er den Fehler gemacht, sie zu unterschätzen. Aber er hatte schnell gemerkt, dass Perenelle Flamel mindestens so mächtig war wie ihr Mann. Auf ein paar Gebieten übertraf sie ihn sogar. Die Eigenschaften, die Flamel zu einem brillanten Alchemysten hatten werden lassen – seine Detailverliebtheit, seine Kenntnis alter Sprachen, seine unendliche Geduld – machten ihn gleichzeitig zu einem lausigen Zauberer und katastrophalen Totenbeschwörer. Flamel fehlte ganz einfach der Funke Fantasie, die reine Vorstellungskraft, die es für diese Arbeit brauchte. Perenelle dagegen war eine der mächtigsten Zauberinnen, die er je getroffen hatte.
Dee zog einen seiner grauen Lederhandschuhe aus und ließ ihn neben sich auf den Sitz fallen. Er beugte sich vor, tauchte den Finger in die Schlammpfütze neben dem Golem und malte ein geschwungenes Symbol auf Perenelles linken Handrücken. Dann malte er das Symbol spiegelverkehrt noch einmal auf ihre rechte Hand. Er tauchte den Finger erneut in den zähen schwarzen Schlamm und hatte gerade drei Wellenlinien auf ihre Stirn gemalt, als sie plötzlich die grünen Augen aufschlug. Dee zog die Hand rasch zurück.
»Perenelle Flamel, ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich freue, dich wiederzusehen.«
Perenelle öffnete den Mund und wollte etwas sagen, brachte jedoch kein Wort heraus. Sie versuchte, sich zu bewegen, doch davon abgesehen, dass der Golem ihren Arm festhielt, gehorchten ihr ihre Muskeln nicht.
»Ah, du musst entschuldigen, aber ich habe mir die Freiheit genommen, dich unter einen Fesselzauber zu stellen. Ein einfacher Zauber, aber er genügt, bis ich etwas Dauerhafteres organisieren kann.« Dee lächelte, doch er wirkte alles andere als heiter. Sein Handy klingelte und er klappte es auf. »Entschuldigung«, sagte er zu Perenelle.
»Du hast das Foto bekommen?«, fragte Dee. »Ja, ich dachte mir, dass
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