Nicholas Flamel Bd. 4 Der unheimliche Geisterrufer
auch die Fassade des Gebäudes schmückten.
Prometheus’ lodernde Aura erfasste die am nächsten stehenden Statuen, rote Funken tanzten über die eingeritzten Muster, purpurnes Feuer kroch über die geschwungenen Schriftzeichen und ließ die archaischen Zeilen lebendig werden.
»Prometheus«, flüsterte Zephaniah.
Dann bewegte sich die Statue direkt neben Prometheus; es war die einer stattlichen Frau. Ein Stück gehärteter Ton fiel von ihr ab und zersprang auf dem Boden. Darunter kam dunkle Haut zum Vorschein. Eine zweite Statue hinter Prometheus, die eines Mannes, bewegte sich, wieder platzte ein Stück Ton ab und enthüllte pralle, goldbraune Haut.
»Brüderchen …«
Prometheus’ Feueraura loderte höher auf, sprang von einer Statue auf die nächste über und entzündete die Schrift mit Flammenlunten. Knisternde Luntenknäuel tropften wie Schweißperlen von seiner Haut und rollten über den Boden. Sobald sie eine Statue erreichten, zischten sie und stiegen auf, Flammenzungen krochen über den Ton und entzündeten die Schrift. Sobald alle Schriftzeichen brannten und die Statue hell leuchtete, bewegte sie sich, der gehärtete Ton fiel in großen Stücken von ihr ab und zersprang auf dem Boden.
Plötzlich wurde Zephaniah bewusst, dass die Aura ihres Bruders eine andere Farbe angenommen hatte. Sie war dunkler geworden, fast hässlich, und der bittersüße Anisduft war jetzt streng und sauer.
»Prometheus!«, rief sie erschrocken, doch er konnte sie nicht hören. Sie wusste, was passieren würde: Seine Aura hatte begonnen, ihn zu verschlingen.
Er war inzwischen ein einziges, flammendes Inferno, eine massive Feuersäule, die bis zur Spitze der Pyramide hinaufreichte. Prometheus selbst war in all den Flammen fast nicht mehr zu erkennen. Feuer prallte von der Decke ab und fiel wie brennender Regen auf die Statuen. Die Hitze war schier unerträglich, sie strömte über die vielen tausend Figuren hinweg, ließ den Ton platzen und enthüllte die Haut darunter.
Zephaniah wusste, dass sie ihren Bruder ablenken, seine Aura zum Erlöschen bringen musste, bevor das Feuer ihn verzehrte. Verzweifelt bahnte sie sich einen Weg zwischen den Statuen hindurch. Einige schwankten und fielen um, und die tönernen Umhüllungen, die Prometheus’ Aura noch nicht erfasst hatte, zerfielen zu Staub, wenn sie den Boden berührten. Als Zephaniah nahe genug herangekommen war, schlug sie mit der Peitsche nach ihrem Bruder. Die lederne Peitschenschnur wickelte sich um einen seiner ausgebreiteten Arme. Augenblicklich begannen Stiel und Schnur der Peitsche leuchtend rot zu glühen und zu brennen. Sie zog mit aller Kraft und Prometheus wankte.
Seine Aura flackerte und wurde dunkler, nur um danach noch heller aufzulodern. Der Anisduft war jetzt eindeutig ranzig. Bitter.
Zephaniah löste die brennende Peitsche mit einem Ruck und ließ die Schnur erneut durch die Luft sausen. Und dieses Mal wickelte der Lederriemen sich um den Hals ihres Bruders. Sie umfasste den Stiel mit beiden Händen und zog, und es gelang ihr, Prometheus aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er strauchelte und seine Aura flackerte und erstarb, als er auf die Knie fiel.
»Prometheus!« Zephaniah kniete sich neben ihn und hielt ihn fest. Die Hitze, die ihre Haut verbrannte und ihre Kleider ansengte, ignorierte sie.
Er öffnete die Augen und sah sie an. »Was ist passiert?«, murmelte er.
Zephaniah blickte auf. Die Statuen waren alle miteinander lebendig geworden. Sie scharten sich um sie, still und stumm, und sie stellte entsetzt fest, dass ihre bis vor wenigen Minuten noch formlosen Gesichter sich verändert hatten und nun die Züge ihres Bruders trugen.
»Ich glaube, du bist Vater geworden«, stellte sie beeindruckt fest. »Brüderchen, sie sehen alle aus wie du.«
»Ach du liebe Zeit.« Er hustete. »Auch die Frauen?«
»Vor allem die Frauen«, antwortete Zephaniah und schloss die Augen.
Sophie Newman öffnete die Augen und erkannte das Gesicht hinter der Scheibe sofort. »Prometheus«, flüsterte sie. »Brüderchen. «
KAPITEL SIEBENUNDDREISSIG
H uginn und Muninn, die beiden riesigen Raben, die die Größe von Pferden hatten, stürzten sich vom Himmel herunter auf Dee und Virginia Dare. Die messerscharfen Klauen waren weit gespreizt. Sie hatten klare Anweisungen bekommen: Tragt die beiden Unsterblichen hoch in die Luft und lasst die Frau als Strafe dafür, dass sie dem Magier geholfen hat, über der Themse fallen.
Dr. John Dee stieß Virginia zur
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