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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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Ellie, die etwas naiv an einen
Zusammenhang von politischer Moral und literarischer Qualität glaubte, wollte
wissen, wie sich das mit einem angeblich genialen Geist vertrage. Karl deutete
auf die Zeitung.
    Er ist achtzig.
    Am
Abend darauf wurde im Monbijou feierlich ein neues Radiogerät eingeweiht, das Telefunken Zeesen 875 WK ,
das selbst bei hohen Tönen eine erstaunliche Klangreinheit bot. Gedacht als
besonderer Service für die Gäste, stand es fortan im großen Salon, auf
einer Empore hinten im Eck.
    Ab 21 Uhr lief eine Übertragung von Verdis Aida aus der Arena di Verona
mit dem Tenor Benjamino Gigli, auf dessen Stimme sich alle Kenner einigen
konnten. Max hatte, ohne vorher Rücksprache mit Pierre zu halten, die
dreitausend Francs teure Anschaffung durchgesetzt. Ein letztes Mal fanden
etliche Stammgäste der Sosos zusammen, um dem Gesang der bei lebendigem Leib
eingemauerten Liebenden zu lauschen. Nach dem Schlußduett klatschten die
Zuhörer ergriffen Beifall. Max legte einen Arm um Ellie, vor allen Leuten,
küßte sie und flüsterte ihr ins Ohr, wieviel sie ihm bedeute. Wenn es jemals
jemanden gäbe, mit dem er eingemauert werden wolle, sei sie das. Ellie bekam
weiche Knie vor Glück. Eine Erklärung jener Art hatte sie seit Jahren vermißt
und erhofft.
    Karl hingegen zog sich bereits nach dem Triumphmarsch des ersten
Aktes auf sein Zimmer zurück. Soviel Täterätä und pathetischer C -Dur-Schmalz bekomme ihm nicht, Klangreinheit hin oder
her. Max mißverstand das als Kriegserklärung und wünschte seinem Bruder alle
möglichen Krankheiten an den Hals.
    Am 10. August wurde der Prozeß gegen Pierre Geising
eingestellt. Amirault hatte recht behalten. Es bedurfte einzig der Verrentung
Perecs, damit der Untersuchungsrichter einsah, auf welch lückenhaften und
beinahe absurden Voraussetzungen das Verfahren gegen einen bis dato
unbescholtenen Bürger geführt werden sollte. Hinzu kam, daß Blanche dem
Staatsanwalt ankündigte, auf ihre frühere Aussage keinen Eid zu leisten, sie
sei unter Druck gesetzt worden. Pierre war bereits am 11. August ab fünf Uhr
morgens ein freier Mann. Er stieg in ein Taxi, überraschte Ellie im Schlaf und
erwartete überschäumende Wiedersehensfreude in Form eines spontanen Beischlafs.
Ellie, die froh war, daß der endlich wieder kreative Max nicht in ihrem Zimmer
genächtigt hatte, gewährte ihrem Gatten den Wunsch. Und bereute es bald. Sein
Keuchen klang ihr eklig in den Ohren, besonders wenn es sich kurz vor und nach
dem Höhepunkt in ein Krächzen und Rasseln verwandelte. Sie verstand Max
inzwischen besser, wenn er sagte, daß Mitleid keine Tankstelle sein könne auf
dem Weg zum Glück.
    Amirault gratulierte schriftlich und überwies zweitausend Francs
zurück, den Rest vom Vorschuß behielt er für nicht abrechenbare Ausgaben ein.
Weniger aus Geldgier. Mehr, um seinen Ruf, teuer und erfolgreich zu sein, zu
verteidigen. Und aus der Erfahrung heraus, daß jemand, der frisch aus der Haft
entlassen worden war, selten reklamierte.
    Pierre lud seine Familie ins Au Caneton ein, das
beliebte, von Exilrussen geführte Restaurant in der Rue de la Bourse. Max kam
nicht mit. Er wolle nicht mit Karl an einem Tisch sitzen müssen. Daraufhin
erklärte Karl, auch er bleibe lieber zu Hause, Pierre und Ellie sollten sich zu
zweit einen schönen Abend machen. Dann, rief Ellie, bleiben wir alle zu Hause,
ihr benehmt euch wie verzogene kleine Kinder! Pierre erfuhr, was zwischen den
Brüdern vorgefallen war.
    Bezeichnenderweise verschlechterte sich die Stimmung im Monbijou nach Pierres Entlassung. Obwohl er die Kontovollmacht für Ellie noch nicht
widerrufen hatte, war die Zeit der erregenden Börsenspiele vorbei. Man hätte wahrscheinlich
ein Vermögen mit amerikanischem Eisenerz machen können, aber Pierre erwies sich
als sehr konservativer Anleger. Das Eisenerz würde im Preis nur steigen, wenn
es noch in diesem Jahr zum Krieg käme, und solche Geschäfte, die den Teufel an
die Wand malten, fand er unmoralisch. Mit dem Gold und den Diamanten war er
hingegen einverstanden und bedankte sich ausdrücklich für die Vermehrung seines
Vermögens. Unsres
Vermögens , korrigierte Ellie, und Pierre nickte. Natürlich,
Liebling.
    Ich habe Blanche einen weiteren Monat durchgefüttert. Damit du das
weißt. Ich wollte es dir vorher nicht erzählen, falls es zum Prozeß kommen
würde. Das dafür nötige Geld fehlt in den Büchern. Nicht daß du denkst, ich
unterschlage etwas.
    Ah. Verstehe. Gut gemacht. Und

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