Nicht ganz schlechte Menschen
Brüder geprügelt. Max war dabei zorniger als
Karl. Daß der sich partout und selbstverliebt in einer Randfigur wiedererkennen
wollte, Kunst mit dem Leben verwechselte, gut, das mußte in Kauf genommen
werden. Daß er darüber hinaus kein Wort verlor, was die reine Qualität des
Textes betraf, kam einer Frechheit gleich. Die Situation eskalierte, als Karl,
explizit danach gefragt, den Roman eine minderwertige Arbeit schimpfte, auf
Groschenniveau, erdacht von einem kranken Hirn mit zuviel Freizeit. Max war
nicht darauf vorbereitet, daß irgendeine menschliche Existenz, und ausgerechnet
sein Bruder, derart niederträchtige Lügen in die Welt setzen konnte. Selbst
wenn Karl wirklich dachte, was er da von sich gab, war sein Verhalten nicht
nachvollziehbar destruktiv. Wozu nahm er in Kauf, die Brücken zum eigenen
Bruder, zum einzigen lebenden Blutsverwandten, für immer in die Luft zu jagen?
Max beruhigte sich mit dem Gedanken, daß aus Karl der pure Neid
sprechen mußte. So gesehen, war seine Reaktion geradezu ermunternd, ja
wünschenswert. Max rief sich den Sinnspruch Jonathan Swifts ins Gedächtnis,
demzufolge Genie immer am Aufstand der Idioten erkennbar sei.
Ellie, die, so gut es ging, zwischen den Brüdern vermittelte, fragte
Karl, ob er sein harsches Urteil nicht relativieren wolle, es sei ja
offensichtlich, daß kein sehr christlicher Geist aus ihm gesprochen habe.
Karl gab zur Antwort, christlicher Geist sei ein Widerspruch per se. Wenigstens
darauf hatte er sich mit Max immer einigen können. Der war aufgewühlter, als er
sich eingestand. Er konnte Karls Kritik nicht einfach abtun und als
bemitleidenswert vom Ärmel wischen, sosehr er sich bemühte. Allein die
Tatsache, daß sein Text es nicht vermocht hatte, den ersten Leser, welch
finstere Motive und charakterliche Lücken der auch immer haben mochte, zu
überzeugen, zu becircen, auf die Knie zu zwingen – bedeutete eine Niederlage.
Max blieb zwei Tage und Nächte lang wach, starrte auf das leere
Blatt vor sich und suchte seine Konzentration wiederzuerlangen. Manchmal
kritzelte er eine Haßtirade hin, ließ Johnnie, die Romanfigur, auf grausame
Weise sterben, auch wenn das im Zusammenhang keinen Sinn ergab und das Papier,
sobald Johnnie tot war, zerknüllt wurde.
Eine
minderwertige Arbeit, auf Groschenniveau, erdacht von einem kranken Hirn mit
zuviel Freizeit . Böse Worte, die sich wie Säure durch seinen
Schädel ätzten. Nun ja. Vielleicht gab es ein, zwei Schießereien zuviel.
Andererseits las man in der Zeitung jeden Tag von Schießereien, sie waren Teil
des täglichen Lebens. Max hatte sich von den sechs Morden der Weidmann-Bande
inspirieren lassen. Und dem gefährlichen Leben, das diese Gestalten führten,
zwischen Drogen, schnellen Automobilen und erotischen Exzessen. Wenn es derlei
gab, konnte es nicht trivial genannt werden. Gut, die Frauengestalten waren
möglicherweise schablonenhaft und nicht sehr raffiniert gezeichnet, aber die
Weiber in jenem Milieu waren nun einmal schablonenhaft und alles andere als
raffiniert. Andernfalls würden sie sich doch gar nicht auf Kerle wie diesen
Weidmann einlassen. Max hatte bewußt darauf verzichtet, seinen Figuren einen
irgend gearteten psychologisch-philosophischen Überbau anzudichten, er wollte
das Unmittelbare, das Kraftmoment solcher Existenzen so zerstörerisch und
rücksichtslos wie möglich schildern, als einen Brutal-Moloch des Nihilismus.
Einzig Johnny, ein naiver junger Mensch, der an das Gute im Menschen glaubte,
das durch sozialistische Erziehung begärtnert und hochgepäppelt werden könne,
besaß etwas Bildung, war höflich und nett, endete aber stets als jugendlicher
Don Quijote. Von dem sich die Frauen abwandten, weil es vielleicht sehr viel
Schlechteres, aber ganz bestimmt auch noch etwas Besseres geben mußte. Max
hatte nicht darüber nachgedacht, wie sehr das Karl verletzen würde. Wo käme man
hin, wenn man beim Schreiben eines Romans peinlich genau vermeiden wollte,
Ähnlichkeiten mit lebenden Menschen zu riskieren? Eher müßte man als Realist
doch bestrebt sein, die Welt so abzubilden, wie sie war. Ob das allen gefiel
oder nicht.
Am dritten Tag nach Karls Verdikt beruhigte sich Max einigermaßen.
Allerdings könne er im Monbijou , behauptete er, vorläufig nicht arbeiten und
verlangte den Schlüssel für Pierres Haus in Menton. Das habe er sich ohnehin
schon immer einmal ansehen wollen. Durch dessen südliche Lage sei man dort vor
einem Überfall Hitlers viel sicherer als in
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