Nicht ganz schlechte Menschen
ich würde nie denken, daß du mir
etwas unterschlägst.
Ellie konnte ihm kaum in die Augen sehen. Durch geschicktes
Jonglieren hatten sie und Max fast 30.000 Francs auf die Seite gelegt. Die
Summe, für den Notfall gedacht, lag bar im Schrank von Max’ Zimmer, in einem
abschließbaren Reisekoffer. Genug, um nach Amerika zu gelangen und einige
Monate leben zu können. Wäre es nur das gewesen, Ellie hätte Pierre gegenüber
ein relativ reines Gewissen gehabt. Aber jeder Tag, da sie es hinauszögerte,
ihn um die Trennung zu bitten, kam einer Tortur gleich. Die schlechte Stimmung
entstand hauptsächlich dadurch, daß Ellie von Max gedrängt wurde, und mit
Recht. Pierre war auf freiem Fuß, es gab keinen Grund mehr, die Sache zu
verschieben.
Und du willst, fragte sie flüsternd, Karl wirklich hier
zurücklassen?
Er hat sich
selbst hier zurückgelassen. Geht mich nichts mehr an. Soll machen, was
er will. Nur nicht in meiner Nähe.
Max, bitte! Überleg dir das noch mal!
Pierre war ein sensibler Mensch, dem natürlich auffiel,
daß etwas in der Luft lag. Der Streit zwischen den Brüdern schien eine passable
Erklärung. Weshalb aber Ellie geknickt und oft geistesabwesend war, fahrig in
Worten wie Bewegungen, schien ihm ein Rätsel. Er legte ihr ein paarmal die
Hände auf die Schultern, sie wand sich jedesmal aus der Berührung heraus, als
würden seine Finger brennen.
Was ist denn los? Rede mit mir!
Was soll los sein, ich hab nur Kopfschmerzen. Morgen ist alles gut.
Morgen,
morgen werde ich es ihm endgültig sagen, dachte sie an neun aufeinanderfolgenden
Abenden. Bis Max ihr eine recht grobe Szene machte.
Er könne auch anders, rief er. Wenn es allein nach ihm gegangen
wäre, würden sie längst in New York sein, und Pierre hätte seinetwegen hinter
Gittern vermodern können. Nur ihr zuliebe habe er … Max unterbrach sich,
klatschte beide Handflächen gegen seine Schläfen. Ach, vergiß es! Wir werden nie frei
sein, solange wir uns an Schnepfen binden! Mit diesen Worten
verließ er das Zimmer und fuhr mit der Metro Richtung Cosy-Bar , um sich
abzulenken.
Vorm Schlafengehen suchte Ellie Karl in dessen Zimmer auf.
Sie tranken eine Flasche Wein zusammen und aßen ein paar Käsewürfel.
Hör zu, es ist langsam soweit. Ich werde mich von Pierre trennen und
mit deinem Bruder in die Staaten gehen.
Karl verzog keine Miene. Er hatte daran schon seit geraumer Zeit
nicht gezweifelt.
Morgen sage ich es Pierre. Hoffentlich gibt er nach. Und, Karl, ich
möchte, also, es würde mich sehr freuen, wenn du mit uns kämst.
So.
Ja. Du müßtest dich freilich bei Max entschuldigen, ihm sagen, daß
alles nicht so gemeint war, daß du im Zorn geredet hast.
Nie im Leben. Außerdem bleibe ich gerne in Paris. Das Studium läuft,
in zwei, drei Jahren hab ich meinen Abschluß. Und ihr habt meinen Segen. Ich
bin sicher, Pierre wird dich ziehen lassen. Wenn nicht, wird Max schon was
einfallen.
Wie meinst du denn das?
Keine Ahnung. Manchmal denke ich, ich blicke da durch, aber dann …
Lassen wir das. Hoffentlich behält mich Pierre hier, was denkst du? Wo er dann
ja nicht mehr mit mir verwandt ist?
Ihr seid doch so gute Freunde, mach dir mal keine Sorgen. Im
Gegenteil, du wirst für ihn unverzichtbar sein.
Karl nickte und trank versonnen einen Schluck rubinroten Grenache.
Manchmal kam er sich wie ein schon alter Mann vor, vom Leben gezeichnet.
Tags darauf erhielt Ellie überraschend Besuch von Blanche
Chapelle. Sie behauptete, ihre Wohnung zum nächsten Ersten gekündigt zu haben.
Jetzt, da Monsieur Geising wieder unschuldig sei, liege ja eine völlig
veränderte Situation vor. Sie könne sich sogar vorstellen, eines Tages wieder
im Monbijou zu arbeiten, und es würde Madame Geising doch sicher gefallen, sie
herumzukommandieren.
Ellie meinte, sie solle es in ein paar Tagen nochmal versuchen, dann
liege möglicherweise eine noch viel völliger veränderte Situation vor.
Karl dachte lange darüber nach, und mit sehr gemischten Gefühlen,
wie es sein würde, ohne Max, ohne Ellie. Vielleicht hatten die beiden ja recht
damit, sich aus dem Staub zu machen, vielleicht sollte er ihrem Beispiel
folgen. Es gab Staaten, in denen man den Doktorgrad schon binnen vier Jahren
erreichen konnte, dort, wo Ärzte dringend gebraucht wurden. Was genau hielt ihn
in Paris? Es würde bizarr sein, weiter für Pierre zu arbeiten, ungeachtet der
Freundschaft, die beide verband. Er suchte Rat bei Claudette, einer
sechzehnjährigen Hure, die ihm beim
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