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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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Paris.
    Ellie fragte bei Pierre nach, ob es in Ordnung gehe, wenn Max das
Haus inspiziere. Pierre fand es sogar sehr begrüßenswert, wenn sich jemand da
unten mal umsehen würde.
    Max hielt es mit Zarathustra und suchte die Einsamkeit. Gleichsam
als Waschanlage für sein von profanem Kehricht beschmutztes Ego. Aus dem
Hoteltresor entnahm er ein Säckchen voll Diamanten, im Wert von etwa 120.000
Francs. Er hielt sich die Option offen, alle Zelte abzubrechen. Manchmal im
Leben, dachte er, muß man sich faul gewordene Zähne ziehen und Segel setzen,
irgendwohin. Selbst die Liebe, redete er sich ein, sei nur eine Gewohnheit,
wenn auch die schönste und schillerndste. Doch nichts, wirklich nichts, komme
an Größe und Zauber einem plötzlichen Aufbruch gleich. Das Neue, das Abenteuer,
alles hinter sich zu lassen. Tabula rasa! Er spielte mit dem Gedanken,
berauschte sich daran. Kolumbien wurde von den Zeitungen, die er im Zug nach
Süden las, als Auswanderungsland erster Güte gepriesen. Niemand würde ihn dort
finden. Er müßte in Marseille einfach nur ein Schiff betreten, und ein neues
Leben ging los! Wie glorreich fühlte es sich an, einen Horizont zu besitzen,
der nicht von Mauern, Meeren oder Menschen begrenzt war.
    Ellie fehlte ihm dann doch sehr bald. Er wußte und schätzte, welche
Bodenhaftung sie ihm gab, und nur im Zorn verwechselte er das mit einem Klotz
am Bein. Ihm fiel auf, daß er Ellie immer mit Vorbehalt geliebt hatte, als wäre
seine Empfindung nicht standesgemäß, ja degoutant, dem Trieb geschuldet
gewesen. Spät sah er ein, daß es im Leben nicht so sehr darauf ankam, wie etwas
sich zu irgendeinem Zeitpunkt darstellte, sondern viel eher darauf, ob und wozu
es sich entwickeln konnte.
    Darüber hinaus gefiel es Max recht gut in Menton. Das Städtchen war
schick, nicht blasiert, ruhig, nicht öde, und oben auf dem Hügel das Haus mit
acht Zimmern allein zu bewohnen, kam einem cäsarischen Lebensgefühl gleich.
Zwei Tage verbrachte Max damit, Staub aus allen Ecken zu fegen, die Jalousien
zu putzen und eine gewisse Behaglichkeit herzustellen. Hier, dachte er, würde
er arbeiten können. Den schönsten Schreibtisch aus Teakholz schob er in die
Mitte des größten Zimmers oben im zweiten Stock. Obwohl der Strom
funktionierte, bevorzugte Max beim Schreiben Kerzenlicht. Die im Zugwind
zuckenden Flammen füllten die Räume mit allerhand Tierchen aus flackernden
Schatten. Man bekam nie das Gefühl, ganz alleine zu sein. Gegen drei Uhr
morgens, Max hatte etwas Wein getrunken, aber nicht viel, einen halben Liter
vielleicht, ließ ihn etwas herumfahren. Da, neben der zusammengebundenen,
wespentaillierten Musselingardine, im Halbdunkel zwischen Fenster und
Zimmertür, stand eine Frau. Max erkannte sie sofort von einer Fotografie.
Lebendig hatte er sie nie gesehen. Es war Julie, Pierres tote erste Gemahlin.
Sie stand da, barfuß in einem langen Kleid, das keine klar definierbare Farbe
besaß, aber leicht schimmerte, bald bläulich wie Eis, bald wie poliertes
Elfenbein. Sie tat nichts und sagte nichts. Dann stand sie nicht mehr da, ohne
daß sie von einem Moment auf den anderen verschwunden wäre.
    Am nächsten Morgen fuhr Max nach Paris zurück. Nicht eigentlich aus
Angst. Wovor sollte er Angst haben? Schlimmer, viel schlimmer war, daß es keine
überzeugende Erklärung für das Gesehene gab.
    Möglicherweise hatte ihm jemand einen Streich gespielt, mit
irgendeiner Spiegelprojektion. Oder, was wahrscheinlicher war, er hatte während
eines Sekundenschlafs geträumt, war Opfer eines zu lebhaften Unterbewußtseins
geworden. Es gibt keine Geister. Was für ein Quatsch. Max wollte sich mit so
etwas nicht beschäftigen müssen, und der einzige Weg, es aus dem Kopf zu
bekommen, war abzureisen.
    Er redete mit niemandem über den Vorfall. Ellie wunderte sich, daß
er es da unten nicht länger ausgehalten habe. Ich liebe dich zu sehr, sagte er
knapp und deponierte das Diamantensäckchen wieder im Safe.
    Am ersten August hatte Ellie höchstpersönlich Blanche
Chapelle ein Kuvert vorbeigebracht, welches das Geld für eine Monatsmiete
enthielt, plus den geforderten Bonus, damit sie keinen Hunger litt. Der Sommer
ging langsam vorüber, mit ihm das Zeitfenster für eine große, radikale
Entscheidung.
    Jetzt, wo sich Karl durch sein (wie Max es nannte) schäbiges Verhalten,
seine abscheulichen Lügen ins Abseits geschossen hatte und man
keine Rücksicht mehr auf ihn nehmen mußte, wäre es noch einfacher gewesen, den
Traum von

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