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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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Amerika binnen Tagen zu realisieren. Wäre Ellie einmal mutig vor Max
hingetreten und hätte gesagt, ja, es ist soweit, komm, wir gehen das jetzt an,
es muß so sein – dann, dann vielleicht hätte die Dynamik des Augenblicks für
einen Coup jener Größenordnung ausgereicht. Als wohlhabende Leute wären Ellie
und Max in der neuen Welt angekommen und abgetaucht. Es stellte sich gar die
Frage, ob sie den Arm des Gesetzes hätten fürchten müssen oder ob die
juristische Grauzone Schutz genug vor transatlantischen Zudringlichkeiten bot.
So, wie sie beide Pierre einschätzten, wäre er nicht rachsüchtig genug gewesen,
Strafanzeige gegen die eigene Ehefrau zu stellen.
    Eine solch positive Beurteilung Pierres trug jedoch eher dazu bei,
die Aktion in Frage zu stellen statt zu forcieren. Max, der sich als autarke
Existenz jenseits der Herdenmoral definierte, wunderte sich oft darüber, wie
sentimental er noch war. Lag das in seinen Genen begründet? Lag es an der
Restangst vor Verfolgung und Bestrafung? Oder gab es im Menschen, wie frei er
auch war, einen natürlichen Respekt vor dem Nächsten, egal, ob man das Phänomen
nun obsolet Ritterlichkeit nannte, modern Fairneß oder, am zeitlosesten, Anstand ? Max wußte sehr wohl, daß der Amoralist weiter
kam als irgendwer sonst, wenn es um die Anhäufung materieller Güter ging. Er
war aber auch erwachsen genug, um zu begreifen, daß das reine Streben nach
Reichtum nur sehr primitiv geartete Zeitgenossen glücklich machen konnte. Den
höherentwickelten Menschen zeichnete die Fähigkeit aus, auf den Ruinen der
alten Moral ein eigenes, frei aus sich selbst gestaltetes Wertesystem zu
konstruieren. So etwas wie Glück und innere Zufriedenheit war nur zu erreichen,
indem man, bei aller verständlichen Sucht nach Versorgtheit und
Leidensvermeidung, die letztlich unvermeidliche Verwesung des Körpers
anerkannte und dementsprechend die geringe eigene Verweildauer auf Erden durch
Großzügigkeit und Verständnis gegenüber den Zeitgenossen adelte. Güte zeigte.
Gelassenheit. Freigebige Nonchalance im Angesicht des Todes. Max war auf dem
Weg dahin, doch noch am Anfang.
    Der Gedanke, kein ganz schlechter Mensch zu sein, widerstrebte Max.
Gutartigkeit besaß für ihn immer noch den Beigeschmack opportunistischer
Ohnmacht. Herr der Lage zu sein, nein, von dieser kindischen Illusion hatte er
sich verabschiedet. Das war etwas für die neuen Herrenmenschen drüben im Reich.
    Es war nicht so, daß Max böse sein wollte, keinesfalls. Er wollte einfach nur zu
jeder Zeit über den größtmöglichen Handlungsspielraum verfügen.
    Ich habe nachgedacht. Sagte Ellie einmal, als sie beide
nebeneinander im Bett lagen und eine Zigarette teilten.
    Du weißt genau, daß das bei dir fatale Folgen haben kann.
    Blödkopf! Darf ich dir eine Frage stellen?
    Tust du bereits.
    Hast du je etwas Schlimmes gemacht?
    Was meinst du mit schlimm ?
    Etwas richtig Schlimmes.
    Nein.
    Aber wenn doch – würdest du mirs erzählen?
    Nein.
    Weil du kein Vertrauen in mich hast?
    Nicht deshalb. Jetzt gib Ruhe, bitte.
    Du fragst gar nicht, woran ich gedacht habe?
    Hab ich vergessen.
    Weißt du, ich glaube nicht, daß Xavier nochmal zurückkommt. Bestimmt
hat Zanoussi ihn um die Ecke gebracht.
    Vielleicht.
    Aber wer hat ihm den Auftrag gegeben? Wenn Blanche es nicht war und
Pierre auch nicht, wer bleibt dann noch übrig?
    Na, du .
    Ellie starrte ihren Geliebten an und brach in Gelächter aus. Max’
Gesicht blieb sekundenlang völlig ausdruckslos, bevor er sich nicht länger
beherrschen konnte und die Mundwinkel zu einem winzigen Grinsen anhob.
    Am 4. August feierten die Zeitungen aller Welt den 80. Geburtstag Knut Hamsuns. In der nationalsozialistischen Presse wurde der
Schriftsteller besonders gewürdigt. Goebbels, Chefideologe Rosenberg und Hitler
persönlich sandten Glückwünsche, die sich der Jubilar gerne gefallen ließ.
Hamsun war für Max eines der wichtigsten und leuchtendsten Vorbilder gewesen,
dessen Affinität zu den Nazis ihm oft genug Rätsel auf- und Zweifel mitgegeben
hatte.
    Karl erklärte sich das Ganze damit, daß Hamsun zwar als Autor
herausragend sei, aber eben auch eine Schraube locker habe, genau wie der Held
aus Hunger ,
das Karl für ein verkappt autobiographisches Buch hielt. Hamsuns Eintreten für
die Deutschen schon während des Weltkriegs sei als logische Folge seines Hasses
auf den großbritannischen Imperialismus erklärbar, dem er etwas entgegenstellen
wollte. Und sein Katzbuckeln vor Hitler?

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