Nicht mein Märchen (spezieller Festtags-Preis) (German Edition)
Sirenen in der Ferne. Kommt und holt mich! dachte ich.
Ich weiß nicht wie lange wir fuhren. Das Problem, wenn man so klein war wie ich war, dass man einfach nicht viel wusste. Dinge geschahen mit mir und ich hatte keine Kontrolle darüber. Wir verließen die asphaltierte Straße und ratterten jetzt über einen unbefestigten Feldweg. Vielleicht war es nicht mal ein Weg, vielleicht war es nur ein Feld. Er wurde aber trotzdem nicht langsamer, also blieb ich einfach fest zusammengerollt und hüpfte wie eine Lotteriekugel.
„Chris?“ wimmerte ich.
„Du kennst meinen Namen?“
Nun, natürlich wusste ich seinen Namen. Ich hatte sein Bild in Dr. Winters Praxis gesehen. Ich hatte Chris dort sogar ein paar Mal persönlich gesehen.
„Du kennst meinen Namen? Antworte!“
„Nein,“ log ich ihn an.
Er schlug mit der Faust nach mir, streifte aber nur meine Seite, was mich erschreckte, aber nicht wirklich weh tat. Ich zog mich trotzdem noch fester in meine Fötal-Position, in der Hoffnung, dass wenn ich so tat, als hätte er mir weh getan, er mich nicht nochmal schlagen würde.
Wir fetzten durch die Wüste in Richtung eines unbekannten Ziels, später erfuhr ich, dass es zu den West Mesa Hügeln ging. Wir fuhren und fuhren, bis Chris auf die Bremsen stieg und aus dem Auto ausstieg. Warm Luft strömte hinein und kalte, klimatisierte Luft hinaus. Einen Moment später wurde die Tür auf meiner Seite geöffnet, Chris packte mich am Kragen und schleuderte mich in das schmutzige, trockene Gras. Ich landete auf meiner Hüfte und schürfte mir die Handflächen auf. Staub stieg auf und ich musste niesen.
Okay, dachte ich. Jetzt ist meine Chance. Ich renne, entschied ich. Ich renn einfach los und schreie, und-
Klick- Klack .
Ich hob den Kopf und blickte in die Mündung einer Schrotflinte, weit dahinter befand sich Chris verschwommenes, rosa Gesicht.
„N-nein…“ wimmerte ich. „Nein!“ Ich denke die meisten Leute hätten um Gnade gefleht, aber ich war noch ein kleines Kind und mein Verstand funktionierte anders. Vielleicht hatte Chris mich zu hart auf den Kopf geschlagen, aber alles was ich denken konnte war nicht „Bitte bring mich nicht um,“ sondern eher „Das ist nicht fair! Das darfst du nicht. Das sind nicht die Regeln! Man verschleppt nicht einfach Leute und erschießt sie dann ohne Grund. Das ist falsch .“
„Geh weg!“ kreischte ich. „Lass mich in Ruhe! Geh weg!“ Ich schlug die Hände über meinen Kopf als würde es mich irgendwie vor einer Kugel schützen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit war immer noch nichts geschehen. Die Sonne schien erbarmungslos auf mich herab und verbrannte mir die Haut auf meinem Nacken und Händen. Eine Ameise krabbelte durch meinen Schatten, mit den Fühlern im losen Dreck suchend. Chris atmete schwer und abgehackt. Dann sah ich wie sich der Schatten der Waffe senkte.
Ich sah auf.
Chris zog eine Pistole hinter seinem Rücken hervor und, pop , ein dumpfer, brennender Schmerz traf meinen Unterschenkel. Ich blickte an mir herunter und sah einen Schwall Blut in den Staub laufen. Pop . Es fühlte sich an, als hätte er einen glühenden Schürhaken durch meine Schulter gerammt. Ich fiel nach hinten um und mein Kopf schlug mit einem dumpfen Knall auf dem Boden auf. Mein T-Shirt sog sich mit warmer, klebriger Flüssigkeit voll. Pop . In meinem Bauch explodierte ein feuriger Schmerz. Ich hatte immer noch nicht ganz verstanden, dass ich angeschossen wurde. Die Pistole klang überhaupt nicht so, wie ich es aus dem Fernsehen kannte.
Er starrte auf mich herab und ich blickte zu ihm hoch. „Geh weg,“ flüsterte ich.
Ich fragte mich, ob wohl Blut aus meinem Mund sprudeln würde, wie man das aus den Filmen kannte, aber das tat es nicht.
„Lass mich in Ruhe,“ krächzte ich.
Chris putze die Pistole an seinem Shirt um Fingerabdrücke abzuwischen und warf sie dann so weit er konnte weg. Ich hörte wie sie in der Ferne im trockenen Gras landete. Dann drehte er mir den Rücken zu, stieg in seinen Wag und fuhr fort. Er ließ mich zurück, um in den tiefblauen Himmel New Mexikos zu starren, während das Leben aus mir heraus in den Staub strömte.
Eine Ameise krabbelte über meine Kehle, aber ich bewegte mich nicht mal um sie wegzuwischen. Alle Farbe verschwand aus der Welt. Der Himmel wurde blassblau, dann grau, dann schwarz. Ich hörte Sirenen, aber die waren unglaublich weit weg. Das Letzte was ich wahrnahm, war der Klang meines rasenden Pulses und das Gefühl, dass mein ganzer
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