Nicht mein Märchen (spezieller Festtags-Preis) (German Edition)
starrte zurück in ein Gesicht, das ich seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte. Er hatte ein spitzes Kinn, genau wie Beth und ich, und braune Augen, die eigentlich tiefsinnig und einfühlsam wirken könnten, aber einfach nur böse aussahen.
Jason drehte sich um und Chris erhaschte einen Blick auf sein Gesicht. Er blieb wie angewurzelt stehen. „Jason?“
Die Anwältin sah erst ihn an, dann ihren Klienten.“Wer ist das?“
„Wir kennen uns aus der High School,“ sagte Jason. Sein Griff um meinen Arm wurde etwas fester.
Die Anwältin warf ihm noch einen etwas besorgten Blick zu, aber sagte nichts weiter. Sie begab sich zu ihrem Tisch, öffnete ihren Aktenkoffer und fing an, eine Reihe von Dokumenten ordentlich vor sich hinzulegen.
„So, du bist jetzt also ’n großer Filmstar,“ sagte Chris.
„Wie geht’s dir?“ erwiderte Jason.
Chris bedachte mich wieder mit einem finsteren Blick. „Ging mir schon besser.“ Er verlagerte seine Schultern in einer Bewegung, die bedrohlich und aggressiv wirkte.
Mein erster Instinkt war, zurück zu zucken, aber ich tat’s nicht. So war ich nicht. Nie gewesen. Ich sah zu ihm rüber und musterte ihn. Das letzte Mal als ich ihn gesehen hatte, hatte er wie ein Riese auf mich gewirkt. Jetzt sah er einfach nur wie ein normaler Kerl aus, ein etwas pummeliger noch dazu.
Er zuckte. Wie ein Hund der von einer Hauskatze mit Blicken niedergezwungen wurde, sah er an die Wand als wollte er sagen „Schon gut, ich hab dich nicht angesehen. Geh jetzt weg, ok?“
„Okay,“ sagte Jason. „Ich hau jetzt ab.“
„Nein,“ entfuhr es mir. „Bleib. Bitte.“
„Bist du sicher?“
„Ja.“ Mein Mund war ausgetrocknet.
Der Gerichtsaal war klein, mit Sitzplätzen für vielleicht zwanzig Leute. Vor uns war ein niedriges, hölzernes Geländer und dann ein Tisch für jede Seite in diesem Verfahren. Die gegenüberliegende Seite des Raumes wurde von dem Zeugenstand aus Hartholz dominiert, in dem der Richter und die Augenzeugen Platz nehmen würden. Die Sitzplätze für die Jury waren leer. Es gab keine Fenster und das fluoreszierende Licht saugte die Farbe aus allem und jedem heraus, so dass die ganze Szenerie irgendwie blutarm wirkte. Die Richterin war eine recht junge Latina, mit wunderschönem Augen-Makeup, das so gut zu ihrer Robe passte, dass ich nicht anders konnte als sie anzustarren und mich zu fragen, wie sie das Makeup wohl auftrug.
Ich saß in meinem Stuhl und hörte mit nur einem Ohr zu, was Chris‘ Anwältin zu sagen hatte, darüber dass Chris nichts gemacht hätte, seine Schuld der Gesellschaft gegenüber abgesessen sei, und dass ihm alles was in der Vergangenheit passiert war schrecklich leid tun würde.
Dougs Einführung war kurz und gut gewesen. Er sagte nur warum wir hier waren, danke der Richterin und setzte sich wieder. Das gefiel mir. Erst als ich zu Steve rüber schielte und sah, wie er pausenlos in seinen Notizblock kritzelte, merkte ich, dass er nervös war.
Chris’ Anwältin war fertig und setzte sich. Doug sah mich an. „Bist du bereit?“
Ich nickte.
Er stand auf. „Die erste Zeugin, euer Ehren, ist Chloe Winters.“
Die Richterin nickte und Doug deutete mir, mich in den Zeugenstand zu setzen. Der gepolsterte Sitz war recht bequem und das Mikrofon ließ sich von mir leicht in jede Position manövrieren. Der Gerichtsschreiber schenkte mir ein leichtes Lächeln, während ich mich arrangierte.
„Was ist ihre Beziehung zu Mr. Winters?“ begann Doug.
„Ich bin seine Halb-Schwester.“
„Und könnten sie uns etwas über ihre gemeinsame Vergangenheit erzählen?“
„Wir wuchsen getrennt voneinander auf und vor zehn Jahren hat er mich gekidnapped und versucht umzubringen-“
„Einspruch,“ sagte Chris Anwältin. „Es gab nie eine Verurteilung wegen versuchten Mordes.“
„Na gut, streichen sie das,“ sagte die Richterin.
„Sie können gleich noch etwas mehr ins Detail gehen,“ versicherte Doug mir. „Aber er hat sie angegriffen?“
„Ja.“
„Hat er ihnen körperliche Verletzungen zugefügt?“
„Ja.“
„Einspruch. Irreführend.“
„Stattgegeben.“
Doug runzelte die Stirn. „Wie haben sie sich gefühlt, während des Vorfalls?“
„Als ob mein Leben in Gefahr sei.“
„Einspruch!“
Die Richterin winkte müde ab. „Ich sehe ihren Standpunkt,“ sagte sie. Sie nickte zu Doug, der sich wieder an mich wandte.
„Okay, Miss Winters, warum erzählen sie uns nicht von diesem Vorfall?“
„Einspruch.
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