Nicht ohne Beruf (German Edition)
auch etwas Entsprechendes zur Untermiete gefunden. Es war ein Ehepaar, er als Witwer das zweite Mal verheiratet. Die junge Frau ward nun Tagesmutter. Sie wohnte nicht weit von Erichs Oma entfernt. Und wenn die junge Frau zum nahe gelegenen Kinderspielplatz fuhr, traf sie auf Oma, die dann laut und freudig verkündete: „Das ist mein Urenkelkind!“
Diese Urahne, eine geborene Auerswald, bescherte ihren Nachkommen ein Vermächtnis!
Ich habe das erst erfahren, als ich in München eine Frau Auerswald kennen lernte. Sie hatte von ihrer Schwiegermutter gehört, alle Auerswalds stammten von einer Familie in der Chemnitzer Gegend.
D a ist sie auch her, meine Urgroßmutter.
D ie hießen mal „von“ Auerswald, irgendwann von wem geadelt. Aber weil sie so viele Kinder in die Welt setzten, verarmte die Familie. Als ‚fischelante‘ Sachsen verkauften sie den Adelstitel, hatten wieder Geld und konnten noch mehr Nachkommen zeugen! Wer weiß, ob es mich und meine Familie sonst gäbe.
Zu meiner Urgroßmutter passte die G eschichte gewiss sehr gut. Vermutlich hatte sie ein Dutzend Kinder geboren. Omi Anna schwieg sich darüber aus; ihr war das bis ins Alter hinein peinlich! Sie hatte ein Kind, Erich, und das war wohl ausreichend für eine „anständige Frau“.
Wenn wir mitunter die große Oma in ihrem Stift besuchten, saß sie meist im Schauke lstuhl etwas erhöht auf einem Podest am Fenster. Ich fand sie stets beeindruckend mit ihrem Samtband, eng um den Hals gebunden. Eigentlich hatte ich vor, wenn ich alt bin, auch so ein Samtbändchen um den Hals zu tragen. Na, kann ja noch kommen!
Die Oma war freundlich, hörte aber schon sehr schwer. Man musste in eine Sprachtüte, die sie ans Ohr hielt, hinei nsprechen. Es war für ein kleines Mädchen schwierig, die richtige Lautstärke zu finden. Jedes Mal ermahnte mich jemand:“Schrei doch nicht so in die Tüte! Das tut der Oma ihren Ohren weh.“
Erwachsene waren sehr kompliziert!
A nfangs hießen ja beide Oma, die Urgroßmutter halt große Oma. Das gefiel aber der kleinen Oma nicht. Sie wollte ab sofort und gleich „Omi“ genannte werden. Wenn ich sie mit Oma ansprach, stellte sie sich taub. Reagierte nicht, bis ich den ganzen Satz nochmals mit „Omi“ begann. Ist das eine gute Methode um geliebt zu werden?
Die Urgroßmutter starb als ich zwölf wa r an einem Alterskrebs am Magenmund mit 84 Jahren. Sie musste quasi verhungern, weil die Krebsgeschwulst kein Essen mehr in den Magen hineinließ.
Da ging ich zum ersten Mal zu einer B eerdigung und fand das sehr feierlich. Traurig eigentlich nicht, eher erhebend. Besonders als das erzgebirgische Lied „‘S is Feieroamd“ gespielt wurde. Das möchte ich bei meinem Begräbnis auch gern.
Unsere Besuche schätzte Erichs Mutter doch. Mit der Zeit hatte sie sich damit abgefunden, Großmutter geworden zu sein.
Eine Geschichte wurde lange noch erzählt: Ich musste kurz etwas besorgen gehen und ließ Uta mit der Mischpoche alleine. Das behagte meiner Kleinen wohl nicht. Als sie dann recht streng gefragt wurde, warum sie denn weine, wollte sie den wahren Grund ihres Kummers nicht zugeben, sondern sagte: „Die droße Oma hat mir den Stuhl weggenimmt!“
Sehr lange ging das mit der Betreuung durch die Tagesmutter nicht. Der Vermi eter verlangte wohl, dass seine Frau eine lohnendere Tätigkeit aufnahm.
Nun nochmals auf Suche. Durch ein Ze itungsinserat: Arzthelferin mit Kind sucht möbliertes Zimmer mit Kinderbetreuung – oder so ähnlich.
Ein wirklich großes Glück! Ein älteres Ehepaar meldete sich. Sie hatten drei Sö hne großgezogen und keine Enkelkinder bekommen. Uta war ein Jahr und vier Monate alt, als wir zu ihnen zogen. Für zwei Jahrzehnte wurde das unser Zuhause. Uta nannte sie Mama und Papa. Ich und Erich waren und sind Mutti und Vati!
Bis zu Mamas letztem Atemzug lebten wir zusammen.
Ich muss heute noch sagen, dass die Richtung eines Lebens durch ein Kind gegeben wird.
Als wir in Leipzig-Gohlis einzogen, reichte meine Kleine gerade bis zur Tischkante. Und bums, stieß sie sich mit der Stirn an der Tischecke. Die wurde von Papa sogleich sorgfältig mit einem Stück Leder gepolstert.
Mit dem Sprechen klappte es wohl lange nicht, so dass Mama fragte, ob Uta jemals sprechen lernen würde.
Das hat sich aber doch noch recht gut en twickelt!
In Mama und Papa hatte ich alles, was Großeltern so geben sollten. Im Winter, wenn es draußen schon dunkelte, machte Mama mit mir Schummerstunde. Es wurde
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