Nicht ohne Beruf (German Edition)
sie ja ihren einzigen Sohn noch, na sagen wir: „unter Aufsicht“.
In den ersten sechs Wochen bekam ich ja das so genannte Wochengeld von der Krankenkasse und hatte Zeit, mich nach einer Anstellung in einer Arztpraxis umzus ehen.
Die ersten Tage waren ausgefüllt wie bei allen Wöchnerinnen mit Stillen und W ickeln. Doch auch für die Eltern sorgte ich, dass sie morgens beim Aufstehen einen gedeckten Frühstückstisch vorfanden. Dafür ging ich nach dem ersten Stillen zum Bäcker, um frische Brötchen zu holen. Vier Treppen hochzusteigen, das war eine gute Morgengymnastik! Auch den Kinderwagen hievte ich mit Inhalt hoch.
Einmal richtete Erichs Mutter es so ein, dass ich die große Wäsche übernehmen musste. Wohl auch, um mich zu testen.
Wie einfühlsam von ihr!! Unterdessen müssen ja wohl schon winterliche Temperaturen g eherrscht haben!
Für die große Wäsche gab es im Hof der Leipziger Mietshäuser ein Waschhaus. Nix Waschmaschine! In Bottiche eingeweicht, wurde zuerst die Weißwäsche im Kessel über einer Feuerstelle gekocht. Anschließend kam in die abgekühlte Seifenlauge die Buntwäsche, während die erste Ladung gespült und ausgewrungen wurde. Die schwere nasse Wäsche musste anschließend auf den Trockenboden, bei Anna im fünften Stock, geschleppt werden. Ohne Aufzug
Ich habe noch miterlebt, wie Omi Anna als alte Frau diese Tortur jeweils nach dem Betten Beziehen auf sich nahm. Verschwitzt hinaus in die Kälte; danach war sie regelmäßig einige Tage krank.
Meine kluge Mutti war da schon ihrer Zeit voraus: Sie gab die große Wäsche , also Bettwäsche, in eine Wäscherei. Die kleine wurde in der Dienststelle im Becken mit der Hand gewaschen und nachmittags, wenn keine Patienten mehr kamen, im Durchleuchtungsraum aufgehängt.
Zum Hausstand gehörte auch Annas zweiter Mann, Alois, ein gemütlicher Schweizer. Gemächlich rauchte er sein Pfeifchen. Nachmittags ging er als Geschäftsführer ins Café Centra in die Stadt. Er stammte aus dieser Branche. Seine Schwestern hatten noch große Hotels am Vierwaldstätter See.
Erichs Vater war schon früh gestorben, noch während des Ersten Weltkriegs, als Erich noch sehr klein war. Seine Mutter musste d amals, wie sie mir erzählte, ihren Molkereibetrieb alleine führen.
Alois starb, als Uta vier Jahre alt war. Er hatte oft über Magenschmerzen geklagt. Im Krankenhaus wurde dann ein schweres Herzleiden diagnostiziert und alles ging ganz plötzlich.
Bis dahin hatte ich noch keinen von Erichs Verwandtschaft zu Gesicht bekommen. Nun zur Beerdigung kamen sie alle und erfuhren von meiner und Utas Existenz. Onkel Hans, einer von Annas Brüdern, höre ich noch heute, wie er sich Kopf schüttelnd wunderte, dass vier Jahre lang nichts davon erwähnt worden war.
Nur die Oma Helene Lux, Erichs Großmutter, die wusste von Anfang an B escheid. Es war in der ersten Zeit, als ich bei den Eltern wohnte. Ich war in meinem Zimmer, als jemand anklopfte. Sachte ging die Tür auf. Erichs Mutter und eine große, schöne ältere Dame traten ein. Das überraschte Gesicht von der Dame, als sie den Stubenwagen mit meinem süßen kleinen Baby darin erblickte!
Für Uta wurde sie später die Oma, die große Oma, zur Unterscheidung von Erichs Mutter, der Omi. Uta war ihr erstes Urenkelkind. Mit ihr habe ich mich recht gut verstanden. Sie konnte sich gut in meine Lage versetzen, da auch sie ihr erstes Kind, eben Erichs Mutter Anna, noch vor der Hochzeit bekommen hatte. Und beide hießen wir Helene.
Sie wohnte im „Stift“, Seniorenheim würde man heute dazu sagen. Sonntags kam sie und auch Erich von Mügeln zu uns in die Eisenbahnstraße, und es wurde ein richtiges Fam ilienessen.
Auch das Weihnachtsfest wurde in Familie begangen. Omi Anna war eine vorzügliche Köchin. Ihre Eltern hatten früher zeitweise e inen gastronomischen Betrieb, und so war sie entsprechend geschult.
Oft musste ich mir später ihre ganzen E rlebnisse geduldig anhören, besonders als der Kaiser sich unerwartet bei ihnen einquartiert hatte.
Das Jahr ging zu Ende. Silvester! Und ich saß ganz allein mit meiner Uta in meinem Zimmer. Die Eltern feierten in Alois’ Café. Ich wollte nur mal kurz nach Mügeln fahren. Erich konnte aus dienstlichen Gründen nicht kommen. Doch die Eltern erlaubten es mir nicht. Erich wartete vergebens am Bahnhof.
Das Jahr 1937 begann und ich fing an, mich um eine Wohnung zu kümmern, wo auch meine Uta tagsüber betreut werden konnte. Inzwischen hatte ich
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