Nicht ohne Beruf (German Edition)
noch kein Licht angeknipst. Wir saßen an den Kachelofen gelehnt und Mama erzählte Grimms Märchen. Bald kannte ich sie auswendig und flocht bestimmte Stellen ein: ‘Knusper knusper knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen‘ oder ‚Ruckedigu, Blut ist im Schuh‘.
Bei ‚Was macht mein Kind? Was macht mein Reh? Jetzt komm ich noch einmal und dann nimmermehr!‘ musste ich sp äter, als ich fern von Mutti war, immer weinen. Abschied nehmen zu müssen, hat für mich fast etwas Traumatisches.
Mama hat alle meine Kinderkleider genäht. Einmal war sie so konzentriert mit ihrer Näherei, dass die Knochen anbrannten, die sie zum Auskochen auf dem Herd hatte. Das stank vielleicht!
Der Papa besohlte auch meine Schuhe selber auf einem eisernen Dreifuß. Aber er starb bereits, als ich etwa vier Jahre alt war. Es hat mich sehr beeindruckt, als bei seiner Einlieferung ins Krankenhaus getuschelt wurde: „Alte Leute soll man nicht ins Krankenhaus geben. Sie kommen meist nicht mehr nach Hause.“ Genauso trat es ein: Der Papa kam nie wieder. Männer waren Mangelware in meiner Kindheit.
Daran war natürlich der vermaledeite Krieg schuld! Es kann nicht später als 1942 gewesen sein; es ging auf Weihnac hten zu. Ich glaubte noch an den Weihnachtsmann. Da hörte ich, dass alle Männer zum Militär eingezogen werden sollten. Ich fing jämmerlich an zu heulen, weil ich es so unverschämt fand, dass nun wohl auch der Weihnachtsmann in den Krieg müsste. Wo er doch so vielen Kindern so große Freude bereitete!
Diese große Enttäuschung hat mich später, als ich selbst Kinder hatte, noch – oder wieder – sehr beschäftigt. Als Kind hatte ich jeden Verlust einer Illusion als sehr schmerzlich empfunden. Derlei Kummer wollte ich meinen eigenen Kindern ersp aren und war deshalb sehr vorsichtig mit der Vorspiegelung falscher „Tatsachen“.
Mit dem Klapperstorch hat man mich ja auch ganz schön reingelegt! Ich wollte so gern ein Geschwisterchen! Also legte ich jeden Abend ein Stück Würfelzucker vorm Fenster in den Blumenkasten. Dazu sagte ich mein Sprüchlein: „Klapperstorch, du guter, bring mir einen Bruder. Klappe rstorch, du bester, bring mir eine Schwester!“ Morgens war der Zucker weg. Doch eines Abends erwischte ich Mutti, wie sie sich den Zucker genüsslich in den Mund schob, als sie meinte, ich schliefe schon!
Als später in der Schule eine Aushilfslehrerin erstmals etwas von der Evolution, von der Entwicklung der Arten erzählte und damit meinen Glauben an die Genesis des Alten Testamente untergrub, konnte ich die Frau gar nicht leiden!
Warum meinten die Erwachsenen damals, sie könnten uns nicht die Wahrheit sagen? Ahnten sie denn gar nicht, was sie mit i hren Lügen anrichteten? Die waren doch selber mal Kinder!
Darüber, dass es zwei Sorten Menschen gibt, hat man allerdings nie versucht, mir Firlefanz zu erzählen.
Als Uta knapp zwei Jahre alt war, gingen die Frauen, Mama und eine Hausbewohnerin aus der zweiten Etage, mit den Kindern, Uta und dem etwa gleich alten Manfred, auf den Trockenplatz. Es war ein warmer Sommertag und die Kinder waren nur mit einem Hemdchen bekleidet. Meine Uta war ganz aufgeregt, als sie sah, dass bei Manfred unten etwas aus dem Hemdchen herausschaute. Sie hielt es für einen Nuckel und rief ganz aufgeregt: „Manfed Mumm, Manfed Mumm!“
Oh, die Süße, welche Entdeckung!
Den Trockenplatz sollte ich doch vielleicht erklären: Im Sommer wurde die Wäsche nicht auf den Dachboden geschleppt, sondern in Bottichen und Schü sseln auf einen Handwagen geladen. Ratternd wurde die Fracht übers Kopfsteinpflaster gezogen zu einer großen Wiese. An Betonpfeilern waren Haken angebracht, an denen befestigten die Waschweiber, also die Hausfrauen, ihre Wäscheleinen. Auf einer niedriger angebrachten durften die Kinder Taschentücher zum Trocknen aufhängen. Nun brauchte man nur noch schönes Wetter dazu! Auf dem Heimweg konnte man in der Mangel gleich noch die Wäsche glätten. Auf riesigen Planen wurde die Wäsche ausgelegt, auf Holzrollen, ähnlich einem Nudelholz, nur viel größer, aufgewickelt und in die Mangel gelegt. Ein schwerer Kasten fuhr über die Rollen hin und her. Und her und hin.
Mamas Kochkünste müssen auch gepriesen werden. An vielen Sonntagen produzierte sie ihre edlen Thüringer Klöße. Diese Arbeit! Allein schon die rohen Kartoffeln mit der Hand, ohne Maschine, zu reiben, ist ein Kraftaufwand. Und dann welche Zahl von Klößen! Zum Mittagessen kamen sehr
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