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Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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nervös.
    »Jenny«, begann er, »ich muss dir etwas erklären.«
    Ich senkte den Blick auf die neue Marionette, die er angefangen hatte, sie lag auf der Werkbank. Es war ein Wolf mit drohend gefletschten Zähnen. Er droht mir, dachte ich, und wollte weg. Meine Füße wurden ganz zapplig, so sehr wollten sie mich wegbringen. Meine Eltern hatten mich erwischt, wie ich Raffi geküsst hatte, und das war etwas Ungezogenes – oder warum sollte mich Papa sonst so ansehen?
    Papa legte mir die Hände auf die Schultern. »Jenny«, sagte er, »Raffi und Onkel Markus und Tante Edith sind für uns ganz besondere Freunde, sie gehören fast zur Familie. Aber – sie sind Juden.«
    »Ich weiß«, sagte ich und wünschte, er würde mich loslassen.
    »Jenny«, mischte sich Mama ein. Ihre Stimme klang nervös. »Hör deinem Vater zu.«
    »Das Problem ist, dass die Menschen, die jetzt an der Macht sind und die Gesetze machen, die Juden hassen. Natürlich kann dieser Zustand nicht von Dauer sein, aber solange es so ist – Jenny«, sagte Papa hastig, »ihrem Gesetz nach darfst du Raffi nicht küssen.«
    Meine Haut prickelte vor Angst und ich fing an zu weinen. Ich wusste, wie schlimm es war, das Gesetz zu brechen. »Ihr lasst doch nicht zu, dass mich die Polizei abholt und ins Gefängnis steckt, oder?«, sagte ich.
    Papa schloss mich ganz fest in die Arme. »Bestimmt nicht«, antwortete er. »Aber sie könnten Raffi und Onkel Markus und Tante Edith etwas antun. Oder auch Mama und mir, weil wir es nicht verhindert haben. Und wir müssen doch besonders vorsichtig sein, Jenny, weil ich Quäker bin.«
    Wieder fletschte die Wolfspuppe drohend die Zähne. Plötzlich war mir, als hätte die ganze Welt scharfe, grausame Kanten bekommen. Ich wusste, dass Papa Quäker war. Er ging doch zu den Andachten in diesem schäbigen Haus in Berlin-Mitte; dort saßen alle ganz ruhig da, und hin und wieder stand einer auf und sagte etwas. Papa nannte es »Redebeitrag«; jeder, der sich danach fühlte, konnte etwas sagen. Das sei grundverschieden von anderen Kirchen, wo die Leute Gebete aus Büchern ablasen, sagte Papa, aber wir besuchten keine anderen Kirchen. Zu den Quäkerandachten kam der Rest der Familie allerdings ebenfalls nicht allzu häufig mit. Meistens fand ich es dort langweilig, obwohl die Stille auch etwas Besonderes hatte, denn es war keine normale Stille. Wenn man sich darauf einließ, hatte man das Gefühl, in kühles Wasser zu waten.
    »Warum?«, fragte ich – und merkte selbst, wie schrill und ängstlich ich klang. »Warum musst du vorsichtig sein, weil du Quäker bist?«
    »Weil uns an Menschen etwas liegt, die die Nazis nicht mögen«, antwortete Papa.
    Ich wollte von all diesen schrecklichen Dingen nichts mehr hören. »Ich werde ein braves Mädchen sein, Papa, versprochen«, sagte ich.
    Papa antwortete mit zitternder Stimme: »Nein, du musst kein braves Mädchen sein, Jenny. Du hast nichts Schlimmes getan, aber wir leben in einer schlimmen Zeit.«
    Nach diesem Gespräch wollte ich nicht mehr mit Raffi reden, und auch er war mir gegenüber gehemmt, aber dann grinste er mich eines Tages an, und ich musste einfach wieder gut mit ihm sein. Das mit dem Küssen ließen wir allerdings sein. Wir hatten unsere Lektion gelernt.

Kapitel Zwei
    1938
    D rei Jahre später, es war halb sechs Uhr morgens, saßen Raffi und ich nebeneinander auf dem Sofa in unserem Wohnzimmer und hörten mit an, wie eine Bande von Nazischlägern die Wohnung der Jakobis demolierte. Onkel Markus hielt Tante Edith in den Armen. Sie zitterte heftig, als würde jemand sie schütteln. »Unser Zuhause, Markus«, sagte sie immer wieder. »Unser Zuhause.«
    Raffi stand auf und ballte die Fäuste.
    »Ich könnte sie umbringen«, sagte er.
    Onkel Markus nickte.
    Als sie gehört hatten, wie die Männer die Schaufenster ihres Ladens einwarfen und unser Hund zu bellen anfing, hatten sie gerade noch ein paar Kleidungsstücke zusammenraffen können. Raffi trug eine Hose und einen Pullover, war jedoch barfuß. Onkel Markus hatte Schuhe an, aber keine Socken, und unter der Jacke trug er ein Hemd ohne Kragen. Tante Edith war im Morgenmantel. Ihre große, glänzende schwarze Handtasche lag zusammengeknautscht neben ihren Füßen, die in Hausschuhen steckten.
    Und ich hatte solche Angst. Ich sagte: »Kann es nicht sein, dass sie auch zu uns kommen, Papa?«
    »Wenn sie hierherkommen«, wandte sich Papa an Onkel Markus, »bringen wir euch drei über die Hintertreppe raus.«
    Er dachte

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