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Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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Auch sie weinte. Draußen auf der Straße fuhr eine Trambahn vorbei, und ich fragte mich, wie die Trambahnen einfach weiterfahren konnten, als wäre nichts geschehen.
    »Diese Schweine«, sagte Raffi. »Diese dreckigen Mistschweine.«
    Wir gingen ins Geschäft hinunter. Sie hatten die Bücherregale mit einer Axt bearbeitet und auf die ledergebundenen Bände eingehackt. Onkel Markus hob eines der ruinierten Bücher vom Boden auf. Der Rücken war gebrochen. Einige Seiten flatterten heraus wie aufgescheuchte Vögel, aber sie trudelten zu Boden.
    »Goethe«, sagte Onkel Markus. Der Bartschatten auf seinen Wangen ließ sein Gesicht dünner und grimmiger erscheinen. »Deutschlands größter Dichter. Das haben deutsche Männer vollbracht, Dietrich. Und ich war einst stolz, ein Deutscher zu sein.«
    Papa legte Onkel Markus die Hand auf die Schulter. » Ich bin stolz, dich meinen Landsmann nennen zu dürfen.«
    »Aber ich bin nicht dein Landsmann, Dietrich«, widersprach Onkel Markus. »Jetzt nicht mehr. Die Gesetze der Nazis haben mich zu einem Subjekt gemacht, ich bin kein Bürger mehr. Sie haben mich aus dem Schachverein geworfen, weil ich Jude bin. Wir mussten das Hausmädchen entlassen, weil sie Arierin ist und ich dreckiger Jude mich vielleicht an ihr vergreifen könnte …«
    »Markus!«, mahnte Edith. »Die Kinder!«
    »Tut mir leid, Edith. Aber ich habe eine Beleidigung nach der anderen geschluckt und gehofft, es würde schon wieder besser werden. Ich war ein Narr, Dietrich.«
    Ich hatte das Gefühl, als wäre er böse mit uns. Tante Edith umarmte mich erneut und ich schmiegte mich an sie.
    »Du hast recht, Papa«, stimmte ihm Raffi bei. »Wir werden auswandern müssen.«
    Da klammerte ich mich an Tante Ediths Hand. Ich wollte nicht, dass sie uns verließ, was war ich noch kindisch damals. Sie ließ mich gewähren, dann sagte sie: »Jenny, du solltest dich anziehen. Ihr müsst in die Schule, du und Raffi …«
    »Nein«, sagten wir wie aus einem Mund.
    Die Erwachsenen erhoben keine Einwände, ich glaube, sie waren immer noch zu geschockt. »Wir können alle Hände gebrauchen, um den Laden wieder in Ordnung zu bringen«, stellte Papa fest. »Hätte bloß Karl nicht bei Fritz übernachtet, jetzt wird er von dort direkt in die Schule gehen …«
    »Papa«, sagte ich, »Fritz’ Eltern haben ein Telefon, du kannst ihn anrufen. Karl ist bestimmt noch nicht weg.«
    Er ging zum Telefonieren in unsere Werkstatt, kam aber schnell zurück.
    »Es funktioniert nicht«, sagte er. »Sie müssen die Telefonleitungen durchtrennt haben, als sie eingebrochen sind.«
    Ich bot an, Karl bei Fritz zu Hause abzuholen, und Raffi wollte mich begleiten.
    »Sollten wir nicht Mama Bescheid geben?«, fragte ich.
    »Später«, sagte Papa. »Sie macht sich schon genug Sorgen wegen eurer Großmutter, diese Nachricht kann warten.«
    Wir hatten keine Vorstellung davon, was sich da draußen abspielte, keiner von uns.

Kapitel Drei
    A ls Raffi und ich auf die Straße traten, stand vor Silbermanns Antiquitätenladen eine Menschenmenge. In den Schaufensterscheiben klafften gezackte Löcher.
    »Hier waren sie auch«, sagte Raffi, während er so schnell ausschritt, dass ich trippeln musste, um mithalten zu können. In der Kehle hatte ich noch den süßen Nachgeschmack der heißen Schokolade und mir wurde übel davon. Dann kam ein Krankenwagen mit heulender Sirene. Er hielt vor dem Laden, zwei Männer sprangen heraus und luden eine Trage aus. Die Menschen machten Platz, um sie zur Tür durchzulassen.
    Die Ambulanz kam vom Jüdischen Krankenhaus.
    Raffi deutete in die Menge. »Da ist Frau Janke.« Wir bahnten uns unseren Weg durch die Leute zur Frau des Hausmeisters.
    »Rafael, Jenny«, begrüßte sie uns. »Der alte Herr Silbermann hatte einen Herzanfall, das ist ja auch kein Wunder nach dem, was sie hier angerichtet haben – und was habt ihr beiden hier eigentlich zu suchen?« Aber sie gab uns keine Gelegenheit zu antworten, sondern beugte sich ganz nah zu Raffi und raunte ihm zu: »Verrate bloß niemandem, dass du ein Jude bist.«
    »Warum nicht?«, fragte Raffi laut.
    Sie schüttelte den Kopf und flüsterte weiter, ich konnte sie kaum verstehen. »Hast du schon gehört, dass ein Jude einen Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Paris erschossen hat?«
    Ich wusste nichts davon, aber Rafael offenbar schon.
    »Tja, ich habe zwar keine Ahnung, was der alte Herr Silbermann oder deine Familie damit zu tun haben sollen, aber es wird behauptet, dass alle

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