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Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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deutschen Juden dahinterstecken …«
    »Was?«, zischte Raffi.
    »Sie verwüsten sämtliche jüdischen Geschäfte. Auf dem Kurfürstendamm ist es besonders schlimm.«
    Raffi und ich starrten einander an, dann drehten wir uns um und liefen die Straße rauf. Ich konnte nicht glauben, was da passierte, und offenbar ging es Raffi genauso.
    Es gab einiges zu sehen. Als wir um die Ecke bogen, rannten wir fast in eine Gruppe von Männern hinein, die freudestrahlend mit ausgebeulten Taschen aus einem zerstörten Juwelierladen traten. Glas splitterte und ich sah, wie einige Schlägertypen das Schaufenster eines Schuhladens mit einem Vorschlaghammer zertrümmerten; es war ein nobles Geschäft, wie alle hier in der Gegend. Die Männer trugen Zivil, aber man sah, dass sie zur SA gehörten, diese Typen, die immer durch die Straßen marschierten und dabei eingängige Nazilieder sangen. Einer griff vorsichtig durch die zerbrochene Scheibe und holte ein Paar Krokodillederpumps heraus, ohne einen Kratzer abzubekommen. Vielleicht wollte er sie für seine Freundin oder seine Frau. Hoffentlich hatte er die falsche Größe erwischt und sie schlug sie ihm um die Ohren. Plötzlich plumpste von oben etwas Großes auf uns herab. Raffi packte mich und zog mich weg.
    Eine Hand krallte sich in meine Schulter, es war nicht Raffis Hand.
    Raffis Griff um meinen Arm verstärkte sich. »Er ist tot«, sagte er. Seine Stimme war sehr leise.
    »Was? Wer hat mich da angefasst?«, fragte ich.
    Dann sah ich ihn. Direkt neben mir lag ein Mann auf dem Pflaster, die Gliedmaßen verdreht wie bei einer Marionette. Sein Gesicht war auf einer Seite gequetscht und sein Schädel seltsam eingedrückt. Blut lief ihm aus dem Mund und ergoss sich in einem Rinnsal auf die Straße. Es dampfte ein wenig in der kalten Luft.
    Raffi sagte: »Er wollte sich an dir festhalten. Er war noch am Leben, als …«
    »Nein«, unterbrach ich ihn. »Hör auf.«
    Dann hörte man vom Balkon in der zweiten Etage jemanden rufen. Als wir aufblickten, sahen wir einen stämmigen Mann, den Arm zum Hitlergruß gereckt.
    »Wieder so ein dreckiger Jude abgekratzt«, bellte er. »Das ist ein spontaner Racheakt des deutschen Volkes!«
    Ein adrett gekleideter Herr ging achtlos an der Leiche und dem krakeelenden Mann vorbei, seine Körpersprache war eindeutig: Das geht mich alles nichts an. Ich muss zur Arbeit. Aber ein drahtiger Bursche im gefleckten Maleroverall blieb stehen und bemerkte: »So spontan wie du mich mal kannst, Freundchen.« Er murmelte es nur, und als eine weitere Gruppe Schlägertypen auf uns zukam, machte er sich schnell aus dem Staub. Auch Raffi zog mich weiter.
    Kaum befanden wir uns außer Hörweite der Braunhemden, sagte er: »Das hätte Papa sein können.«
    Da musste ich weinen, ich konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten.
    »Und wir hätten heute zur Schule gehen sollen«, sagte Raffi. »Was hätte das für einen Zweck gehabt?«
    Er ließ mich los, dabei wäre es mir lieber gewesen, wenn er mich weiter an der Hand gehalten hätte. Mit dem Ärmel wischte ich mir die Augen und die Nase ab. »Raffi, das ist ein richtiger Albtraum«, sagte ich.
    »Ja«, pflichtete er mir bei. Seine Miene war grimmig. »Ein Albtraum, den jemand anders träumt und in dem man uns jetzt zu leben zwingt.«
    »Gehen wir Karl abholen«, sagte ich.
    Zu Fritz’ Wohnung mussten wir vom Kurfürstendamm abbiegen; und da sahen wir die brennende Synagoge. Die Flammen flackerten und züngelten um die Fenster und eine Rauchwolke verdunkelte den Morgenhimmel. Die Braunhemden hatten auf dem Trottoir vor der Synagoge ein Feuer entfacht. Sie verbrannten heilige Gegenstände der Juden: Ich sah das Ende einer Thorarolle aus den Flammen ragen. Es waren auch Feuerwehrleute da, aber sie spritzen nur die Nachbargebäude nass, nicht die Synagoge.
    Doch das überraschte mich nicht, jetzt nicht mehr.
    Ein älterer Mann im Mantel sagte: »Wenigstens sorgen sie dafür, dass kein arischer Besitz beschädigt wird.« Er klang erleichtert, fast schon zufrieden.
    Dann entdeckte ich meinen großen Bruder. Er stand etwa einen Meter entfernt von uns, in seiner Schulkleidung und mit dem Lederranzen in der Hand, und er funkelte den Mann, der gerade gesprochen hatte, finster an.
    »Karl!«, begrüßte ich ihn. Ich trat zu ihm, und er umarmte mich, aber auch er konnte mir das Gefühl, dass das alles ein wahnwitziger Albtraum war, nicht nehmen.
    Als wir nach Hause kamen, gingen Karl und Raffi sofort in den Buchladen. Ich stieg

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