Nicht schon wieder Liebe
einzigen Einrichtungsgegenstand zu finden versuchte, der eine neutrale Farbe aufwies und nicht mit Schnörkeln, Gold, Troddeln oder Fransen verunziert war. Doch was auch immer sie erblickte, eins schien knalliger und scheußlicher zu sein als das andere, und sie war bis auf den Grund ihrer kunstverständigen Restauratorinnenseele entsetzt. Wann, zum Teufel, hatte Crystal bloß all diesen Ramsch angehäuft? Als sie, Veronica, das letzte Mal hier zu Besuch gewesen war, war das Haus noch nicht mit diesem Zeug voll gestopft gewesen.
Veronica überkam plötzlich eine wilde, unbeherrschbare Wut.
»Wenn das nicht mal wieder typisch für dich ist, Crystal! Du hattest ja nie auch nur für drei Pfennig Geschmack. Und gesunden Menschenverstand erst recht nicht, nicht ein Fünkchen! Du musstest ja partout all deine dämlichen Tricks ab-ziehen, stimmt’s? Gott, ich kann einfach nicht glauben, dass du so eine hirnlose Schnepfe bist!« Als ihr bewusst wurde, dass sie in der Gegenwart gesprochen hatte, schüttelte sie wütend den Kopf. »Warst, meine ich. Ich kann einfach nicht glauben, was für eine blöde, rücksichtslose Gans du w-warst ...«
Trauer und Schmerz überwältigten sie wie aus heiterem Himmel, und sie brach weinend auf der mit Goldfransen verzierten Brokatcouch unter einem riesigen schwarzen Samtbild eines Stierkämpfers zusammen, das Kissen an ihren Bauch gedrückt. Sie krümmte sich vornüber und schluchzte auf ihre Knie, und ihre Tränen flossen in einem unaufhaltsamen Strom, der feuchte, sich immer weiter ausbreitende Flecken auf ihrer Khakihose hinterließ.
Ach, Gott, ach Gott. Sie konnte noch immer nicht fassen, dass ihre Schwester tot war. Und nicht nur tot, was ja ohnehin schon schwer genug zu akzeptieren war, sondern auch noch ermordet. Das war etwas, was nur in Filmen und Büchern passierte - aber nicht Menschen, die man kannte.
Es war kein Geheimnis, dass Crystal nicht unbedingt die netteste Frau der Stadt gewesen war, und sie hatten oft heftig miteinander gestritten. Aber trotz alledem war Crystal schließlich ihre Schwester gewesen. Kostbare Erinnerungen hatten sich ihrem Gedächtnis eingeprägt, Erinnerungen an Augenblicke, in denen Crystal ausgesprochen lieb gewesen war oder die fürsorgliche große Schwester oder auch so ungeheuer witzig und komisch, dass Veronica sich vor lauter Lachen beinahe in die Hose gemacht hätte. Crystal hatte es wirklich nicht verdient, so zu sterben, unter den unerbittlich zudrückenden Händen eines blindwütigen Mannes ihr Leben auszuhauchen.
Ein plötzliches Geräusch draußen auf der hinteren Veranda ließ Veronica mit einem Ruck den Kopf heben. Schniefend setzte sie sich auf, wischte sich mit den Handflächen die Tränen von den Wangen und fuhr mit dem Zeigefinger unter ihren Augen entlang. Von ihrem Platz aus konnte sie geradewegs durch den Türbogen der Küche bis zur Hintertür sehen aber dort gab es nichts zu sehen. Sie zuckte die Achseln. Wahrscheinlich war es nur eine von Mrs. Martelucchis Katzen.
Dann glitt der Schatten eines Mannes über die von einer Jalousie verhüllte Scheibe in der Hintertür, und Veronicas Herz schlug einmal hart gegen ihren Brustkorb, bevor es wie verrückt zu hämmern begann. Der Türknauf der Hintertür drehte sich, und sie fuhr mit einem Satz von der Couch hoch wobei das Kissen von ihrem Schoß auf den Fußboden fiel. Hektisch suchend sah sie sich nach etwas um, was sie als Waffe benutzen konnte, und schnappte sich eine protzige goldfarbene Kopie einer Erte-Statuette. Mit wild klopfendem Herzen und einem dicken Kloß im Hals, der ihr fast den Atem abschnürte, schlang sie beide Hände um den Fuß der Statuette und nahm instinktiv die Haltung des Schlägers ein, die sie beim Baseballspielen auf dem Sandplatz hinter »Murphy’s Feed and Seed« gelernt hatte. Die Hintertür schwang knarrend auf.
Muskulöse Schultern und stachelig hochstehendes blondes Haar, von der Außenlampe beleuchtet, aktivierten in ihrem überlasteten Hirn eine Synapse des Wiedererkennens, einen Augenblick bevor eine tiefe, ironische Stimme sagte: »Na, durchstöbern Sie den Laden schon nach Wertgegenständen, Prinzessin?«
Sie hätte ihm trotzdem beinahe die Statuette über den Kopf gezogen, weil er ihr einen derart mörderischen Schreck eingejagt hatte. Jetzt atmete sie ein paar Mal tief durch in dem Versuch, ihr rasendes Herz wieder so weit zu beruhigen, dass es in einem normalen: Rhythmus schlug, und zwang sich, ihre Hand mit der Statuette vorsichtig
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