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Nicht so laut vor Jericho

Nicht so laut vor Jericho

Titel: Nicht so laut vor Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ephraim Kishon
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niedrigen Funktion eines Toilettentischchens. Und wir zählen heute zu den führenden Antiquitätenfachleuten des Landes. Alle Radarschirme und Fernschreiber sind auf uns eingestellt. Erst gestern fiel Azizao vor mir auf die Knie und beschwor mich, ihm irgend etwas zu verkaufen, damit er seinen Ruf als Fachmann wiederherstellen könne. Ich wies ihm die Türe. Das Nähkästchen bleibt bei uns. Dieses Wunderwerk florentinischer Möbeltischlerkunst hat die ganzen antiquitären Machtverhältnisse zu unseren Gunsten verschoben. Neun von den insgesamt achtundzwanzig echten Stücken des Landes befinden sich in unserem Besitz. Unsere Weigerung, etwas zu verkaufen, hat den Markt lahmgelegt. Wexler und Azizao stehen vor dem Ruin. Einzig der junge Bendori, der bewährte Restaurator und Alt-Neu-Verwandlungskünstler, macht uns noch ein wenig Konkurrenz.
     
     

Hitze
     
     
    Die ungemein glückliche geographische Lage unseres Landes bewirkt eine enge Zusammenarbeit zwischen der Feuchtigkeit des Meeres und der sengenden Hitze der Wüste. Diese beiden Faktoren treffen einander jeden Donnerstag vor dem Haus des Autors.
     
    »Weib«, sagte ich, »vor zehn Minuten ist mir der Kugelschreiber hinuntergefallen.« Die beste Ehefrau von allen lag auf der Couch und blinzelte mühsam unter ihren von Eiswürfeln überlagerten Augenbrauen hervor.
    »Heb ihn auf«, murmelte sie. »Den Kugelschreiber.«
    »Unmöglich. Zu heiß.«
    Ich weiß nicht, auf welchem Breitengrad unsere Wohnung liegt. Es kann nicht sehr weit vom Äquator sein. Im Schlafzimmer haben wir 42 Grad gemessen, an der Nordwand unserer schattigen Küche 48 Grad. Um Mitternacht.
    Seit den frühen Morgenstunden liege ich da, bäuchlings, die Gliedmaßen von mir gestreckt, wie ein verendendes Tier. Nur daß verendende Tiere kein weißes Schreibpapier vor sich haben, auf das sie etwas schreiben und mit ihrem Namen zeichnen sollen. Ich, leider, soll. Aber wie soll ich? Um den Kugelschreiber aufzuheben, müßte ich mich hinunterbeugen, in einem Winkel von 45° (45 Grad!), und dann würde der auf meinem Hinterkopf ruhende Eisbeutel zu Boden fallen, und das wäre das Ende.
    Vorsichtig bewegte ich mein linkes Bein, in einem lendenlahmen Versuch, des Kugelschreibers mit meinen Zehen habhaft zu werden. Umsonst.
    Meine Verzweiflung wuchs. Das war heute schon der fünfte Tag, an dem ich das weiße Schreibpapier vor mir anstarrte, und ich hatte noch nichts zustande gebracht als den einen Satz: »Um Himmels willen, diese Hitze!«
    Tatsächlich, eine solche Hitze hat es nie zuvor gegeben. Nie. An einem bestimmten Tag des Jahres 1936 war es fast so heiß wie heute, aber nicht so feucht. Andererseits wurde im Jahre 1947 eine fast ebenso große Feuchtigkeit verzeichnet, aber dafür war die Hitze wesentlich geringer. Nur ein einziges Mal, 1955, war es genauso heiß und genauso feucht. Allerdings in Afrika.
    Afrika. Was für ein sonderbares Wort. Meine Zunge versuchte es nachzuformen, erwies sich aber als zu schwer für diese Arbeit. Afrika. Was soll das? Afrika.
    »Weib, was ist Afrika?«
    »Afrika«, flüsterte sie. »Arfika…«
    Jawohl, sie hat »Arfika« gesagt, es war ganz deutlich. Vielleicht ist es sogar richtig. Arfika. Warum nicht? Mir kann’s gleichgültig sein. Mir ist alles gleichgültig. Schon seit Tagen. Schon seit Beginn dieser noch nicht dagewesenen Hitzewelle sitze oder liege ich, genauer: bleibe ich sitzen oder liegen, wo ich gerade hinsinke, und habe keinen andern Wunsch, als mich nicht zu bewegen. Wenn ich in dieser ganzen Zeit öfter als dreimal gezwinkert habe, war’s viel. In meinem Kopf regt sich das absolute Nichts, sofern ein absolutes Nichts sich regen kann. Ich meinerseits kann das nicht. Aber ich wollte doch etwas sagen. Richtig: Diese Hitze. Um Himmels willen, diese Hitze…
    Das Telefon läutet. Ein wahres Wunder, daß das Ding noch funktioniert. Mühsam strecke ich meine Hand aus und ergreife den Hörer.
    »Hallo«, sagt eine heisere Stimme, die ich als die Stimme unseres Wohnungsnachbarn Felix Seelig erkenne. »Ich bin auf dem Dizengoff-Boulevard. Es ist entsetzlich. Kann ich mit meiner Frau sprechen?«
    »Sicherlich. Du brauchst nur deine eigene Nummer zu wählen.«
    »Daran habe ich gar nicht gedacht. Danke –«
    Ich höre noch das dumpfe Geräusch eines fallenden Körpers, dann ist es still. Um so besser. Das lange Gespräch hat mich ermüdet.
    Mit einer Handbewegung deute ich meiner Ehegattin an, daß Felix Seelig allem Anschein nach tot sei. »Erna

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