Nicht so laut vor Jericho
der letzten Hitzewelle Verbrennungen dritten Grades über dem zweiten Stock erlitten. Wo wohne ich? Wo?!
Ruhig nachdenken. Nur die Ruhe kann es machen. Und die sonnendurchglühte Telefonzelle dort an der Ecke. Ganz einfach. Ein klein wenig gedankliche Konzentration genügt. Im Telefonbuch nachschauen. Hoffentlich ist die Seite mit meinem Namen noch nicht versengt.
Mit welchem Namen? Wie heiße ich? Vor ein paar Minuten habe ich es noch gewußt. Der Name liegt mir auf der Zunge. Aber ich habe ihn vergessen. Ich weiß nur noch, daß er mit einem S beginnt. S wie Sonne.
Es wird immer heißer. Und es fällt mir immer schwerer, meinen Körper aufrecht zu halten, in der für Menschen vorgeschriebenen Vertikale. Zum erstenmal im Leben sehe ich den Sharav, unser unvergleichliches heimisches Hitze-Erzeugnis, plastisch vor mir: ein purpurfarbenes Gebilde aus kleinen und großen Kreisen, die ineinander und gegeneinander rotieren, dazwischen dann und wann Diagonalen, Zickzacklinien und ein doppelter Whisky mit Eiswürfeln.
Aus der Richtung vom Dizengoff-Boulevard nähert sich eine Gestalt, die ich mit großer Mühe als menschliche Gestalt erkenne und mit noch größerer als Felix Seelig. Er lebt also noch, der arme Hund. Auf allen Vieren kommt er herangekrochen, ein dünnes Bächlein Schweiß zeichnet seine Spur. Jetzt hat er mich erreicht. Er glotzt mich aus hervorquellenden Augen an, er fletscht die Zähne, er knurrt:
»Grrr.«
»Grrr«, knurre ich zurück und bin auch schon an seiner Seite, auf allen Vieren. Wir brauchen unsere Rücken nur ganz kurz aneinanderzureiben, um volles Einverständnis darüber zu schaffen, daß wir jetzt gemeinsam weitertrotten werden, grunzend den Sümpfen zu.
»Rhinozeros! Rhinozeros!« klingt’s durch verschlossene Fensterläden hinter uns her. Was tut’s. Jeder sein eigener Ionesco. Rhinozeros hin, Rhinozeros her… Rhcrrr… crrr… grrr… es ist heiß… es wird immer heißer… es war noch nie so heiß…
Wo steckt Tuwal?
Erfahrung lehrt, daß sich die meisten Dinge nach einer gewissen Zeit von selbst erledigen, sogar während einer Kabinettskrise. Echte Schwierigkeiten entstehen erst, wenn der Botenjunge ausbleibt. Anscheinend ist es leichter, Minister zu finden als einen Botenjungen. Sie müssen ja auch nicht radfahren können.
Gottes unerforschlicher Ratschluß hatte entschieden, daß unser Kühlschrank in Streik treten sollte. Mich beunruhigte das in keiner Weise, denn ich besaß einen Garantieschein und brauchte nichts weiter zu tun, als ihn ausgefüllt an die Fabrik zu schicken. Dann lehnte ich mich zurück und wartete.
Nach einigen Tagen begannen die im ehemaligen Kühlschrank aufbewahrten Nahrungsmittel zu gären. Ich rief die Fabrik an.
»Sie sind nicht der einzige, Herr«, teilte mir der Manager bedauernd mit. »Wir bekommen schon seit drei Tagen keine Post.«
»Was heißt das? Warum?«
»Unser Botenjunge ist nicht gekommen.«
Ich erfuhr, daß Tuwal, der vierzehnjährige Botenjunge des Unternehmens, der am Morgen immer die Post holte, seit Sonntag ausgeblieben war und dadurch den ganzen Betrieb zum Stocken gebracht hatte. Das Postamt ist ziemlich weit von der Fabrik entfernt, und Tuwal hatte ein Fahrrad.
»Wir wissen nicht, was mit ihm los ist«, fuhr der Manager fort. »Er hat uns noch nie sitzen lassen. Vielleicht ist er krank.«
Da unser Eisschrank weiter vor sich hingärte, rief ich zwei Tage später den Manager abermals an.
»Nichts Neues«, sagte er bereitwillig. »Bei uns geht’s drunter und drüber. Briefe, Rechnungen, Bestellscheine und alle möglichen Schriftstücke, die schon längst unterwegs sein sollten, häufen sich auf meinem Schreibtisch, und ich habe keinen Botenjungen, der sie befördern würde. Auch die innerbetrieblichen Verbindungswege sind unterbrochen. Versuchen Sie sich das Chaos vorzustellen. Wir sind bekanntlich Armeelieferanten.«
Mir kam ein rettender Gedanke:
»Könnten Sie sich nicht erkundigen, was mit Tuwal geschehen ist?
»Daran haben wir auch schon gedacht. Aber er wohnt weit außerhalb der Stadt und wir haben keinen Botenjungen…«
Um diese Zeit stank es aus unserem Kühlschrank schon so erbärmlich, daß man es nicht mehr riskieren konnte, ihn zu öffnen. Ich telefonierte dreimal täglich mit dem Manager, um mich nach Tuwal zu erkundigen. Er war immer noch nicht gekommen. Niemand wußte, was mit diesem sonst immer so verläßlichen Jungen los war. Eine typisch israelische Tragödie: wenn es
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