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nichts als die wahrheit

nichts als die wahrheit

Titel: nichts als die wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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völlig verbauern will, verdammt!«
    »So wie ich, meinst du?«
    Sie hätte es wissen müssen, daß er sich stellvertretend für alle landflüchtigen Städter angegriffen fühlen würde. Sie hatte einzulenken versucht. »Ich will mir später nicht den Vorwurf machen müssen, Herausforderungen aus dem Weg gegangen zu sein.«
    Sein Blick sprach Bände. »Herausforderungen, aha. Ich empfehle diesbezüglich auch Verlautbarung oder Beschlußfassung oder Zielführung. Und ›Ich würde meinem oder ›Ich gehe davon aus‹.«
    »Ach komm, Paul. So schlimm ist es nun auch wieder nicht.« Sie hatte ihn beschwichtigen wollen – es war ihr wichtig erschienen, daß er verstand. »Und außerdem ist Politik mein alter Beruf.«
    »Aber du lebst seit acht Jahren hier. In der Rhön. Auf dem Weiherhof.« Er klang, als ob das gefälligst auch so zu bleiben hätte.
    »Du verstehst nicht, Paul. Ich habe mir dieses Leben hier nicht ausgesucht …« Dieses Leben hier: als Biobäuerin in der tiefsten Rhön. Davon hatte sie in ihrem früheren Leben noch nicht einmal geträumt. Sie hatte sich als künftige Staatssekretärin gesehen, auf Landesebene – als Ministerin gar, wenn sie sich mal ganz vermessen fühlte. Politik – das war ihr Leben gewesen. Bis – die Erinnerung daran löste noch heute das altbekannte Ziehen in der Magengrube aus. Anne legte die Gabel zurück auf den Teller.
    Von Paul hatte sie mehr Verständnis erwartet. »Wenn mein Mann mich nicht verraten und verkauft hätte, wäre ich nie auf dem Weiherhof gelandet. Das weißt du, Paul.« Und du weißt auch, wie ungeheuer weh die Entdeckung getan hat, daß Leo ein verdienter IM bei der Stasi war, hatte sie in Gedanken hinzugefügt.
    Sie hatten sich seither weniger häufig gesehen – im aufreibenden Wahlkampf war dafür auch kein Platz gewesen. Und womöglich hätte ihm gar nicht gefallen, was ihr, wie alle bestätigten, anzusehen war: Sie hatte jeden Tag der Kampagne schamlos genossen, als ob es die vergangenen acht Jahre nicht gegeben hätte. Erst am Tag der Wahl hatte sie die Ahnung zugelassen, daß es mit der Rückkehr in ihre alte Welt doch nicht so einfach werden könnte. Als die ersten Hochrechnungen auf die Bildschirme kamen, war sie deshalb nicht weiter überrascht gewesen.
    Sie sah sich an der Säule am Rande des großen Saals in Bonn stehen, allein. Menschenmassen drängten sich um sie herum und an ihr vorbei. Die Luft war zum Schneiden, erhitzt von der Wärme all der Leiber und von den Lampen, die die Szene taghell erleuchteten. Es roch nach Männerparfüm und dem, was heiße Scheinwerfer aus Luft machen, wenn sie sie lange genug erhitzt haben. Die Masse der Bildjournalisten war mit klackenden Verschlüssen und leisem Surren der hochgerüsteten Nikons und Leicas dem Kandidaten hinterhergehechelt, der, wie die ersten Hochrechnungen nahelegten, wohl der künftige Vizekanzler sein würde. Für Annes Rang auf der Landesliste hatte das Ergebnis nicht ausgereicht. Sie erinnerte sich noch gut an ihre gemischten Gefühle damals. War sie nicht eigentlich sogar mehr erleichtert als enttäuscht gewesen?
    Anne schob die Schultern nach vorn und zog sich die Jacke enger um den Körper. Die Sonne war wieder hinter einer Wolke verschwunden. Ihre Augen suchten Paul Bremer, der die Linke in die Hosentasche gesteckt hatte, nervös auf den Zehenspitzen wippte und sich mit der Hand durch das kurze weiße Haar fuhr, während Marianne auf ihn einredete. Manchmal verstand sie wirklich nicht, warum sie hier weg wollte. Und warum sie sich nicht in vernünftige Männer verliebte. In so einen wie ihn. In einen gutaussehenden, intelligenten, verläßlichen Mann.
    Andererseits – konnte man Paul wirklich vernünftig nennen? Anne verzog das Gesicht. Verglichen mit Peter Zettel – vielleicht. Peter. Einer der Fehlgriffe ihres Lebens.
    Am Abend der Bundestagswahl war sie ihm zum ersten Mal begegnet. Sie hatte damals unwillig weggeguckt, als sie merkte, daß er sie beobachtete. Immerhin hatte sie noch gesehen, daß er einen dieser kleinen Spiralblöcke in der Hand hielt, die Journalisten in Bonn benutzten, die auf sich hielten. Anne mochte Journalisten nicht sonderlich. Jedenfalls nicht die von der hungrigen Sorte, die vom Aufdecken ungeheuerlicher Skandale träumten und vom Pulitzerpreis – oder von seinem deutschen Gegenstück, wie immer das hieß.
    Erregte Männerstimmen rissen sie aus ihren Gedanken. Anne war plötzlich hellwach. Vor der Scheune standen sich zwei Männer wie wütende Bullen

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