Nichts als Erlösung
herumriss. Sie hatte nicht mehr damit gerechnet. Aber er hat es getan. Im letzten Moment. Warum auch immer. Er hat sich selbst gerichtet und sie verschont. Sie und Lea und Leas Baby, das inzwischen im Krankenhaus das Licht der Welt erblickt hat. Ein Mädchen. Gesund. Miriam.
Judith streckt ihre Beine aus. Morgen fliegen sie zurück nach Deutschland. Morgen wird sie anfangen, die Briefe zu lesen, die Schneider hinterlassen hat. Sie wird sich seine Wohnung ansehen. Sie werden seinen Sohn benachrichtigen, der noch irgendwo in Deutschland lebt. Sie werden Berichte schreiben, viele Berichte. Sie werden versuchen, die letzten offenen Fragen zu klären, und vielleicht wird die Angst sie noch einmal einholen und dieses Gefühl nach dem Schuss, als sie sicher war, diese warme, klebrige Flüssigkeit, die sie bedeckte, sei ihr eigenes Blut und nicht das von Schneider.
Aber jetzt ist jetzt. Das Ende des von Millstatt angeordneten Sonderurlaubs. Das Ende eines Tags, den sie mit Manni am Meer verbracht hat und soeben mit ihm in der Taverne des Bergdorfs Kalithea ausklingen lässt. Manni ist aufgestanden, um zu telefonieren, und sie hat unterdessen den KURIER des Tages gelesen, mit drei Riesenstorys von René Zobel, und in diesem Moment muss sie gar nichts mehr tun, nichts, außer zu leben. Judith legt den Kopf in den Nacken. Der Himmel verfärbt sich von Minute zu Minute in kitschigerem Rosa, in den Platanen über ihr sägen unermüdlich die Zikaden, und die Steinplatten unter ihren Füßen sind sonnenwarm. Sie trinkt einen Schluck Wasser und betrachtet das Dorfleben. Halbwüchsige Jungs in Trainingshosen und Schlappen, die sich um ein riesiges, blank geputztes Motorrad scharen. Eine Gruppe alter Männer, die Ouzo trinken und Backgammon spielen. Ein Frappé trinkender Pope. Frauen, die Eis essen und tratschen. Eine Teenager-Dorfschönheit mit Barbra-Streisand-Föhnfrisur und bis zum Po ausgeschnittenem T-Shirt, die sich mit einem muskulösen Glatzkopf in einen Hauseingang verzieht. Ein etwa dreijähriges pink gekleidetes Mädchen, das mit todernstem Gesicht auf einem rosaroten Dreirad thront, das blinkt und auf Knopfdruck den Titelsong aus dem Film Lovestory quäkt.
Ihr nächtlicher Ritt auf dem Schimmel war wie eine Heimkehr, wird Judith auf einmal klar. Etwas hat sich damit vollendet, ein Kreis hat sich geschlossen, sie ist frei, befreit. Etwas Neues kann beginnen. Und auch wenn das verrückt ist, nicht erklärbar, hat sie das wohl geahnt, hat davon schon geträumt. Und sie ist vor allem deshalb nach Samos geflogen, nicht wegen der Ermittlungen, sondern für diesen Moment.
Ein Traumtier, das Wirklichkeit wird. Ein Traum aus der Zukunft. Sie denkt darüber nach, wie das möglich sein kann, später, als sie gegessen haben und geredet, gelacht und geschwiegen und der Sonne beim Sinken zugeschaut haben. Sie überlegt sogar, das nicht nur Karl zu erzählen, sondern auch Manni, jetzt, da er sogar weiß, wie sie im Bikini aussieht, ist vielleicht der passende Zeitpunkt für weitere Intimitäten. Sie holt Luft, aber Manni ist schneller. Regelrecht verlegen sieht er plötzlich aus, grinst sie an, schenkt ihnen Wein nach und hebt sein Glas.
»Ich werde Vater«, sagt er.
Danke
Jedes Buch beginnt mit einer Idee, und dass in Judith Kriegers fünftem Fall ein Schatzsucher eine Rolle spielt, habe ich einem Freund aus der Schulzeit zu verdanken: Steffen Wagner erzählte mir zunächst ganz nebenbei von Männern, die in ihrer Freizeit mit Metalldetektoren über die Felder ziehen. Seitdem hat er mir sehr viele Fragen zur Schatzsuche beantwortet. Auch eine praktische Einführung ins Sondengehen verdanke ich ihm. Worin der Unterschied zwischen legaler und illegaler Schatzsuche besteht und welche Schäden die Raubgräberei aus Sicht von Staat und Archäologie anrichtet, erläuterten mir Dr. Holger Göldner vom Landesamt für Denkmalpflege Hessen und Polizeioberkommissar Eckhard Läufer vom Hessischen Landeskriminalamt. Holger Göldner nahm sich darüber hinaus großzügig Zeit dafür, mit mir den perfekten Schauplatz zu suchen. Ohne ihn wäre ich vermutlich nicht auf den Steiner Wald rund um die Festung Zullestein gekommen, und auch nicht darauf, dass mancher Hobbyarchäologe dort den Nibelungenschatz vermutet.
Dafür, dass in diesem Buch ein Boulevardjournalist eine Rolle spielt, danke ich Andreas Wegener von der BILD, der sich an mich wandte, um mir die Arbeitsweise eines Polizeireporters zu erklären. Sabine Wimmer ist für den Schimmel in
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