Nichts als Knochen
tödlichen Schuss ansetzte.
Andrea Walterscheidt war laut Bericht eindeutig erwürgt worden. Die Würgemale, die Faserspuren, die Haare. Rebecca ging alles noch einmal durch. Schließlich schlug sie die letzte Seite des Berichts auf und las die Schlussbemerkung. Im vorletzten Abschnitt stolperte sie über einen Satz, den sie vorher überlesen haben musste.
»Bei der mikroskopischen Untersuchung des Lungengewebes der weiblichen Leiche ergab sich eine relativ hohe Konzentration von Sporen des gelben Gießkannenschimmelpilzes (Aspergillus Flavus) in den Lungenbläschen, die jedoch nicht in ursächlichem Zusammenhang mit dem Tod steht«, las Rebecca leise vor.
»Verdammt, Rudolf, was meinst du denn damit?«
Rebecca griff zum Telefonhörer und wählte Rudolfs Nummer. Als er sich meldete, konfrontierte sie ihn mit dem Satz aus dem Obduktionsbericht und fragte dann: »Kannst du mir bitte mal erklären, was du damit sagen willst? Was ist das für ein Pilz?«
»Aspergillus Flavus, wahrscheinlich der Haupttäter, der bei dem Phänomen, das als ›Fluch des Pharao‹ bekannt wurde, seine Finger im Spiel hatte.«
»Wie? Kannst du nicht mal Klartext reden?«
Am anderen Ende der Leitung seufzte Rudolf hörbar auf.
»Ich sehe schon, bei dir muss man am Nullpunkt anfangen.«
»Ich bitte darum«, erwiderte Rebecca in leicht gereiztem Tonfall, »und wenn möglich in verständlichen Worten und ohne viel Fachchinesisch.«
»Also gut. ›Der Fluch des Pharao‹ war eine Geschichte, die nach der Öffnung des Grabes von Tutanchamun in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts lange Zeit durch die Presse geisterte. Kurz nach der Graböffnung starben mehrere Personen, die daran beteiligt waren. Einige von ihnen verstarben schon nach wenigen Stunden, andere erst nach mehreren Jahren. Insgesamt sollen zwanzig an der Graböffnung beteiligte Personen einen vorzeitigen Tod gefunden haben.«
»Und woran sind sie gestorben?«
»Die mangelhaften diagnostischen Mittel der damaligen Zeit ließen die Todesursache vielfach im Dunkeln. Häufig wurde Lungenentzündung, Grippe oder Tuberkulose genannt. Allen Todesfällen war jedoch eines gemeinsam: Die Lunge des Verstorbenen wies krankhafte Veränderungen auf. Da man sich die Todesfälle damals nicht erklären konnte, machte schnell die Geschichte vom ›Fluch des Pharao‹ die Runde. Erst vor einigen Jahren ist man der Erforschung der Todesursache mit wissenschaftlichen Mitteln zu Leibe gerückt.«
»Und dabei spielte dieser Pilz eine Rolle?«
»Ja, genau. Der Aspergillus Flavus hatte sich an der Mumie und an den organischen Grabbeigaben gebildet. Einige Pilze kapselten sich in Form von Sporen ab und konnten so die Jahrtausende überdauern. Die Fähigkeit, allergische Erkrankungen auszulösen, blieb ebenfalls erhalten oder verstärkte sich sogar noch.«
»Also sind die Leute an allergischen Reaktionen gestorben, die durch den Pilz ausgelöst wurden?«
»Richtig. Allerdings nur diejenigen, die in irgendeiner Art und Weise bereits lungenkrank waren oder aber ein geschwächtes Immunsystem hatten. Einem gesunden Menschen kann der Pilz in der Regel nichts anhaben. Die körpereigenen Abwehrkräfte erledigen ihn, bevor er Schaden anrichten kann. Bei einem geschwächten Menschen aber kann das Einatmen der Pilzsporen zu lebensgefährlichen Erkrankungen der Lunge führen.«
»Und der Pilz kommt nur auf Mumien vor?«
»Nein, das nicht, aber dort kommt es oft zu sehr hohen Konzentrationen. In unserer Umwelt kommt der Pilz auch vor, auf verfaultem Fleisch zum Beispiel oder sogar in Blumenerde.«
»Ups, muss ich mir jetzt demnächst Sorgen machen, wenn ich meinen Ficus umtopfen will?«
»Nein, solange du gesund bist, ist das, wie gesagt, kein Problem. Außerdem sind die Konzentrationen in Blumenerde eher gering.«
»Und die Sporen, die du in der Lunge von Frau Walterscheidt gefunden hast?«
»Waren ziemlich viele. Ich glaube nicht, dass sie die beim Umtopfen einer Zimmerpflanze eingeatmet hat. Aber vielleicht hatte sie ja ein vergammeltes Steak im Kühlschrank, an dem sie intensiv geschnuppert hat. Allerdings hätte da allein schon der Anblick des Pilzes jede weitere Verwendung des Steaks verbieten müssen: Er sieht aus wie abgeblätterte Wandfarbe. Jedenfalls war Frau Walterscheidt nicht lungenkrank und der Pilz nicht verantwortlich für ihren Tod. Es handelt sich nur um ein Detail am Rande, das ich nicht unerwähnt lassen wollte.«
»Okay, jetzt hab ich's verstanden. Vielen Dank für deine
Weitere Kostenlose Bücher