Nichts als Knochen
Wort.«
Christina nickte resigniert.
»Ja, er kann uns noch nicht mal sagen, wer ihn angeschossen hat.«
»Na, das ist noch unser geringstes Problem. Den Täter haben wir wahrscheinlich längst im Sack.«
Christina wandte zögernd den Kopf und sah Lebowsky an.
»Wie meinen Sie das?«
»Gestern Abend haben wir die große Razzia durchgeführt. Sein Verdienst!« Er wies mit seinem Kopf auf den reglosen Körper auf dem Bett. »Wir haben die gesamte Szene hops genommen und neben Drogen, die reichen würden, um halb Köln auf einen Trip zu schicken, haben wir auch noch ein Waffenlager beschlagnahmt, das seinesgleichen sucht. Wenn wir da nicht auch die Tatwaffe finden, häng ich meinen Job an den Nagel.«
»Und wenn die Tatwaffe dabei ist«, wollte Christina mit provozierendem Unterton wissen, »wie viele Verdächtige kämen dann in Frage?«
Lebowsky verengte seine Augen zu schmalen Schlitzen und sah einen Augenblick so aus, als wolle er nicht antworten. Doch dann legte er den Kopf schief und stellte fest: »Kommt drauf an, welche Waffe es ist. Wenn es eine von denen ist, die wir im Halfter eines Bodyguards gefunden haben, kann sich der Kerl schon mal warm anziehen.«
Christina zuckte mit den Schultern und erhob sich.
»Was ändert das schon? Solange Mehmet nicht wieder aus dem Koma aufwacht, ist das wirklich alles zweitrangig.«
Sie griff nach ihrer Jacke und ging ohne Gruß zur Tür.
»Sie machen sich immer noch Vorwürfe, nicht wahr?«
Lebowskys Frage ließ sie in der Bewegung erstarren, als sie die Hand auf die Türklinke legte.
»Das müssen Sie nicht.« Seine Stimme klang plötzlich sanft und sehr fremd. »Es hatte nichts mit Ihnen zu tun. Ich hab das nur gesagt, weil ich wütend war und einen Sündenbock brauchte. Die Schuldigen sind andere, und wir werden sie zur Verantwortung ziehen.«
Christina nickte leicht und verließ rasch das Krankenzimmer.
Sven saß auf einer der Bänke, die auf dem Eckbürgersteig vor der Agnesklause standen, und hatte sich gegen die Mauer gelehnt und die Beine ausgestreckt. Sein Blick war starr auf das Mietshaus schräg gegenüber gerichtet, in dem Jan Zander vor drei Stunden zusammen mit einem Freund verschwunden war. Nur ab und zu führte Sven das vor ihm stehende Kölschglas zum Mund und trank einen Schluck. Ein Regelverstoß, den er bei einer abendlichen Observierung für entschuldbar hielt.
Seit drei Stunden saß er hier. Drei Stunden öde Langeweile und blank liegende Nerven. Das ging jetzt schon seit Tagen so, und bisher vollkommen ohne Erfolg. Jan Zander tat einfach nichts Verdächtiges, und Sven hatte langsam die Nase voll. Er wollte Ergebnisse, und zwar so schnell wie möglich.
Obwohl der Mai vor der Tür stand, war es windig und kühl geworden, und kaum jemand saß hier draußen und trank sein Bier. Nur am Tisch nebenan saß ein klappriger Kerl, der wahrscheinlich in Svens Alter war, aber mindestens zehn Jahre älter aussah.
›Typ Dummschwätzer mit zu viel Promille‹, dachte Sven, als sein Tischnachbar anfing, ihm seine Lebensgeschichte zu erzählen. Nach drei Minuten stand er kurz davor, die Nerven zu verlieren.
»Jetzt pass mal auf«, fuhr er den verblüfften Mann an, »ich will dein Gesülze nicht hören, kapiert? Ruf deinen Friseur an oder erzähl's von mir aus deinem Psychotherapeuten, aber nicht mir!«
Er hatte sich vorgelehnt und dem Mann zugewandt. Jetzt drehte er sich wieder um, ohne eine Antwort abzuwarten, und konzentrierte sich erneut auf die Haustür in der Weißenburgstraße. Fast wäre ihm die Gestalt entgangen, die schnell ging und schon die Kreuzung erreicht hatte.
»Scheiße«, murmelte er und wühlte in der Hosentasche nach Kleingeld, das er auf dem Tisch liegen ließ. Dann nahm er die Verfolgung auf. Kurz darauf erreichte er neben dem Finanzamt Köln-Nord die Innere Kanalstraße und beobachtete, wie Jan Zander auf der anderen Straßenseite hinter den halb verblühten Forsythien in der Grünfläche verschwand, die sich entlang der Inneren Kanalstraße bis zur Escher Straße erstreckte. Sven hetzte über die sechsspurige Fahrbahn. Dann ging er rasch den Fußweg entlang, der sich durch die Grünfläche zog, überquerte die Merheimer Straße und sah Jan Zander auf der anderen Seite in Richtung des kleinen Rosengartens gehen, ehe die Dunkelheit ihn verschluckte. Vorsichtig folgte er ihm. Jan Zander ging an dem ersten quadratischen Rosenbeet entlang, in dessen Mitte sich ein Rasen mit einem Kreis weißer Narzissen befand. Dann durchquerte
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