Nichts als Knochen
auf Verstärkung gewartet hätte, dann wäre Jan Zander vielleicht noch auf die Idee gekommen, sie auf Nimmerwiedersehen im Rhein zu versenken.«
»Ob das die Tatwaffe ist, wird sich erst noch bei der Untersuchung herausstellen. Sollen wir uns jetzt mal anhören, was unser Freund zu der ganzen Angelegenheit zu sagen hat?«
Knut war von seinem Schreibtisch heruntergerutscht und sah Sven erwartungsvoll an, doch der schüttelte nur den Kopf.
»Hab ich schon versucht, aber der Knabe will keinen Ton ohne seinen Anwalt sagen, und der ist erst morgen früh erreichbar. Ist vielleicht auch besser so, ich bin hundemüde und hab Kopfschmerzen.«
»Auch recht!« Knut nickte zufrieden. »Ab und zu ist es ganz angenehm, sich die Nacht mal nicht für seinen Job um die Ohren zu schlagen. Von meiner Urlaubsstimmung werde ich jedenfalls nicht viel bis zum Wochenende retten können. Hast du die anderen schon informiert?«
»Ja.« Sven nickte, »alle außer Rebecca, die hab ich nicht erreicht. Das mach ich dann morgen früh noch.«
»Gut, dann sehen wir uns morgen früh wieder und drehen Jan Zander durch die Mangel. Bis dahin solltest du ein paar Stunden schlafen, du siehst echt Scheiße aus.«
Knut hob die Hand zum Gruß und verließ das Büro.
»Du mich auch«, murmelte Sven ihm müde hinterher.
Krishna ging vor dem nächsten Grab in die Knie und rüttelte verstohlen an dem steinernen Kreuz. Alles fest. Auch die Erde sah nicht frisch aufgeworfen aus. Alles war so, wie es sein sollte. Langsam hatte er die Nase voll. Welcher Teufel hatte ihn nur geritten, als er Rebecca versprach, die Gräber zu kontrollieren? Er stand seufzend auf und ließ den Blick über die Reihen mit Kreuzen gleiten, die noch vor ihm lagen. Ein scharfer Wind zerrte an seinen Haaren und trieb ihm die Tränen in die Augen. Er blinzelte ein paar Mal, um wieder klar sehen zu können. Als er die Augen wieder öffnete, sah er Bruder Winfried, der gerade um die Ecke der Friedhofskapelle bog. Die schwarze Kutte flatterte im Wind wie ein Segel. Das Geräusch, das dabei entstand, erinnerte entfernt an ein Maschinengewehr.
»Was führt Sie hierher?«, fragte er ungläubig, als er Krishna erreicht hatte.
»Och, ich wollte mir nur mal den Friedhof ansehen und ein bisschen frische Luft schnappen.«
»Bei dem Wetter?« Bruder Winfried zog die Brauen hoch und schickte einen verzweifelten Blick in den wolkenverhangenen Himmel.
»Ja, ich liebe es, bei starkem Wind draußen zu sein«, log Krishna, »man kann so schön die Wolken beobachten. Und was tun Sie hier, Bruder?«
»Ich habe eine traurige Pflicht zu erfüllen«, antwortete der Mönch in klagendem Tonfall. »Ich will nachsehen, ob für die Beerdigung am Samstag alles vorbereitet ist.«
»Verstehe.« Krishna wandte schnell das Gesicht ab und tat so, als betrachte er interessiert eine Grabinschrift.
»Sie können sich von Bruder Andreas verabschieden, wenn Sie wollen. Der Leichnam wurde freigegeben und liegt jetzt bis Samstag aufgebahrt im Kapitelsaal.«
Bruder Winfried legte eine Hand auf Krishnas Arm, als er sein Zögern bemerkte.
»Sie müssen natürlich nicht, wenn es Ihnen unangenehm ist.«
»Nein, schon gut. Ich werde hingehen.«
Krishna nickte dem Mönch grüßend zu und trat dann den Rückweg ins Klostergebäude an.
Als er den Kapitelsaal erreichte, schluckte er schwer, um den Kloß in seinem Hals loszuwerden. Kurz überlegte er, ob er wieder umkehren sollte, doch dann gab er sich einen Ruck und trat in den Gewölbesaal ein.
Der Leichnam war am Ende des Saals aufgebahrt, vor dem kleinen Podest mit dem hölzernen Sessel, auf dem normalerweise der Abt bei gemeinsamen Gebeten oder Beratungen Platz nahm. Die grauen, steinernen Säulen links und rechts flankierten den Mittelgang, der genau auf den Leichnam zuführte. Auf dem schmucklosen, weißen Deckengewölbe zuckten einige Schatten der flackernden Kerzen, die im Saal verteilt waren.
Bruder Andreas lag da, als schliefe er. Die blonden Haare waren sorgfältig gewaschen und gekämmt worden und gaben seinem bleichen Gesicht ein sehr jungenhaftes Aussehen. Die schmalen Hände lagen gefaltet auf seiner Brust, wo die Spuren der Autopsie gnädig von dem schlichten Leichenhemd verdeckt wurden.
›Wie jung und verletzlich er aussieht‹, dachte Krishna und war verzweifelt bemüht, nicht die Distanz zu dem Geschehen zu verlieren, die er in den letzten Tagen innerlich aufgebaut hatte. Ein Geräusch hinter einer der Säulen ließ ihn zusammenfahren. Auf einer
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