Nichts gegen Engländer
Minuten
länger stehen als Dicke, denn im Stehen verbraucht man dreimal so viele
Kalorien wie im Sitzen. Deshalb, so verlangt Levine, soll man fetten Kindern
die Stühle wegnehmen. Um die Krampfadern vom stundenlangen Stehen in der
Schule kann man sich ja später kümmern. Vielleicht hilft auch ein Aufnäher am
Revers, ein rosa Schweinchen etwa, um die kleinen Dickerchen auf den rechten
Ernährungspfad zu bringen.
Seit 1999 haben mehr als 600 Kinder an der Leeds University am Carnegie-Programm für
Gewichtskontrolle teilgenommen. Es ist das einzige Fettekindersommerlager in
Europa. Demnächst, so kündigte der Direktor Paul Gateley an, wollen sie Tische
und Stühle wegschmeißen. Man sollte die mopsigen Kids lieber auf Konditionsräder
setzen, die an Generatoren angeschlossen werden. Damit könnte man, natürlich
nur bis 21 Uhr, Fernsehgeräte betreiben. Oder besser noch: elektrische Stühle
für die dürren Demagogen.
Einer
von ihnen ist ein Professor mit dem trefflichen Namen Julian Le Grand. Auch er
will gegen die Körperfülle etwas unternehmen. Er ist Vorsitzender von
»Gesundheit England« und hat früher Tony Blair beraten. Le Grand will der
»Epidemie der Fettleibigkeit« zu Leibe rücken und »Krankheiten, die durch
übermäßigen Verzehr verursacht« werden, schleunigst eindämmen.
Wenn
es nach ihm geht, müssen Raucher künftig eine behördliche Raucherlaubnis
vorlegen, wenn sie Kippen kaufen wollen. Die Lizenz soll ein Jahr gültig sein
und muss vom Doktor gegengezeichnet werden - also Zigaretten auf Krankenschein?
Den gibt es freilich nur gegen eine Gebühr, das Geld soll an den
Gesundheitsdienst gehen. Außerdem soll der Alkoholverkauf eingeschränkt werden.
Wer Lebensmittel kauft, darf sich kein Sixpack in den Korb legen, sondern muss
sich an einer gesonderten Warmbierverteilstation erneut anstellen. Muss man
dort ein Attest mit den Leberwerten vorlegen?
Darüber
hinaus sollen Unternehmen mit mehr als 500 Angestellten ihre Leute täglich zu
einer Stunde Leibesübungen ermutigen. England wird zur Turnhalleninsel. Und
Salz in Fertiggerichten gehöre verboten, meint Le Grand. Er nennt seine
Vorschläge »libertäre Bevormundung«. Man könne dem Staat nicht vorwerfen, sich
als Kindermädchen der Nation aufzuspielen, denn die Menschen können sich ja
aktiv dafür entscheiden, zu rauchen, dem Betriebsturnen fernzubleiben und Salz
auf das Essen zu kippen.
»Manche
werden dennoch behaupten, das sei Bevormundung zum Quadrat«, glaubt Le Grand.
»Aber du wirst ja nicht gezwungen, irgendetwas zu tun. Es geht nicht um
Prohibition. Es ist eine weiche Form der Bevormundung.« Sie ist einer weichen
Birne entsprungen.
Le
Grand und andere Wissenschaftler wollen dem armen Rosenkohl übrigens zu neuem
Ansehen verhelfen. Generationen britischer Kinder sind damit aufgewachsen, zu
Weihnachten kommt kein Truthahn ohne Rosenkohl auf den Tisch, doch nun ist ihm
die schlimmste Demütigung widerfahren: Das Statistische Landesamt in London
entfernte ihn aus dem offiziellen Warenkorb, mit dem die Inflation ermittelt
wird. Statt dessen ist zum ersten Mal Broccoli aufgenommen worden.
Der
Warenkorb enthält 650 Produkte, und seit 1947 gehörte auch der Rosenkohl dazu.
Inzwischen gelte er als Gemüse von gestern, erklärte das Statistische
Landesamt, während Broccoli sexy sei. In einem Land, in dem Margaret Thatcher
einmal zur »Frau des Jahres« gewählt wurde, erscheint wohl sogar Bröckelkohl,
wie er auf deutsch auch genannt wird, als sexy. »Die Briten geben inzwischen
mehr für Broccoli aus als für Rosenkohl«, sagte ein Sprecher des Amtes. »Davor
kann man die Augen nicht länger verschließen.«
Broccoli
kam im 16. Jahrhundert aus Kleinasien über Italien nach England und war dort zunächst als
»italienischer Spargel« bekannt. Vor kurzem wurde er in England wegen seiner
vielen Nährstoffe und der angeblich krebshemmenden Wirkung zum »Superfood«
ernannt. Die Ernährungswissenschaftlerin Carina Norris verteidigt den
altmodischen Rosenkohl: »Broccoli ist nicht besser als Rosenkohl, er enthält
keineswegs mehr Nährstoffe, aber weil er plötzlich chic ist, erhält er mehr
Aufmerksamkeit.« Beide gehören der Kohlfamilie an, sagt sie, und beide gehören
in den Warenkorb. »Lasst den Rosenkohl nicht im Stich«, fleht sie.
Dabei
ist die Mohrrübe der wahre Superheld im Gemüsereich. Zwei schottische
Wissenschaftler, Eric Whale und David Hepworth, haben fünf Jahre lang mit
Karotten experimentiert und eine streng
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