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Nichts gegen Engländer

Nichts gegen Engländer

Titel: Nichts gegen Engländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Sotscheck
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Bequemlichkeit anderer Passagiere«
vor Gericht - fair gewesen sei, gab die Daily Mail gleich die Antwort: »Null
Toleranz muss genau das heißen, auch wenn sie eine süße Mathestudentin ist«,
hieß es in der Überschrift. »In all diesen angeblich amüsanten Fällen hat sich
das Gesetz ganz fest auf die Seite der Sünder gestellt«, kommentierte David
Jones, »während diejenigen, die für die Aufrechterhaltung von Recht
verantwortlich sind, der Lächerlichkeit preisgegeben wurden.«
    Jones,
der sich »liberale Neigungen« bescheinigt, geißelte die reuigen Tränen der
Studentin, die bei einer Verurteilung ihren Wohltätigkeitsjob mit behinderten
Kindern verloren hätte. »Es ist der Eckpfeiler der Null-Toleranz-Politik, keine Form
von asozialem Verhalten zu dulden«, mosert er. Und er kennt sich aus: Ende der
achtziger Jahre lebte er mit seiner Familie zwei Jahre lang in New York.
    »Die
Stadt war so gefährlich, dass wir uns wie Gefangene in unserer Wohnung im 18. Stock in
der Upper East Side fühlten«, schreibt er. Überall lauerten Autofensterwäscher,
auf dem Spielplatz wurde Rauschgift geraucht, und einmal ist er mit seinem
eigenen Baseballschläger, den man ihm weggenommen hatte, bedroht worden.
    Dann
kam Bürgermeister Rudolph Guiliani und rief »null Toleranz« aus. Als Jones
Mitte der neunziger Jahre nach New York zurückkehrte, erkannte er die Stadt
nicht wieder. Er konnte mit seiner Frau sogar nachts im Central Park Spazierengehen.
»Toleriert man hingegen, dass jemand Müll auf die Straße wirft, eine Kippe
fallen lässt oder flucht, setzt eine Spirale nach unten ein«, findet er.
    Wenn
die Täter, die einen Elfjährigen im August 2007 in Liverpool erschossen haben,
geschnappt werden, wird sich herausstellen, so wettet Jones, dass sie der
Polizei schon früher wegen scheinbar trivialer Ungezogenheiten an irgendeiner
Straßenecke aufgefallen sind. Jones will damit wohl sagen, dass aus der süßen
Mathestudentin später eine gemeingefährliche Terroristin wird, weil sie diesmal
ungeschoren blieb. Hat nicht Usama bin Laden als Kind einmal die Füße auf den
Tisch gelegt und dennoch seinen Nachtisch bekommen?
    Aber
auch die sogenannten Qualitätszeitungen haben ihre Eigentümlichkeiten. Früher
hat man sie in England zum Einwickeln der Nationalspeise verwendet. Die
fettigen »Fish and Chips« gingen dadurch eine köstliche Verbindung mit der
Druckerschwärze ein. Das hat die Europäische Union längst verboten. Seitdem
müssen die Zeitungsverlage andere Gründe finden, um der Kundschaft ihre
Blätter schmackhaft zu machen. Die meisten Sonntagszeitungen versuchen es mit
kostenlosen DVDs. Meist werden Filme beigelegt, die ohnehin alle zwei Wochen im
Fernsehen laufen. Der Guardian hatte sich etwas Neues einfallen lassen. Wochenlang
lagen dem Blatt täglich Riesenposter mit britischen Rassen von Schweinen,
Schafen, Kühen, Hühnern und Vögeln bei. Als man sämtliche Tierarten erledigt
hatte, kamen Pflanzen, Bäume, Sträucher dran. Ob es tatsächlich Menschen gibt,
die ihre Wohnung damit tapezieren?
    Die
Konkurrenz vom Independent hielt das offenbar für möglich und kopierte die
Idee. Wer das Blatt kaufte, bekam Plakate von Sonne, Mond und Sternen dazu. So
heckte der Guardian einen anderen Plan aus. Zum Jahresende wickelten sie die
Zeitung täglich in einen Bogen DesignerWeihnachtsgeschenkpapier. Man konnte
das Blatt also gleich weiterverschenken.
    Der Daily Telegraph - oder auch »Torygraph«, wie er gerne gehänselt wird - macht bei diesem Firlefanz
nicht mit. Statt dessen hat das Blatt einen »Nein-Club« ins Leben gerufen.
»Heute gründet der Telegraph, inspiriert von seinen Lesern, einen neuen Club für
Menschen, die wie Marx aus der Menge herausragen wollen und sich gegen
vorherrschende Trends und Moden stellen«, hieß es. Es versteht sich, dass das
rechte Blatt nicht Karl, sondern Groucho Marx meinte.
    Auf
der Internetseite kann man sich eine Vereinsurkunde ausdrucken, wenn man zum
Beispiel keinen iPod hat, kein Trüffelöl über seinen Carpaccio sprenkelt, noch
nie eine Cola getrunken oder die Beatles gemocht hat. Der Telegraph wurde von Mitgliedsanträgen überflutet. Ob das alles grantige Greise seien,
fragte sich das Blatt. Aber nein: »Großbritannien ist immer noch eine Nation von
Rebellen, die ihren eigenen Kopf haben.«
    Frau
Brightman zum Beispiel. Sie hat eine multiple Mitgliedschaft beantragt, da sie
noch nie Jeans getragen, Drogen genommen, einen Hamburger gegessen oder Labour
gewählt

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