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Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)

Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)

Titel: Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Frühling
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bayrische Auswanderer entstanden. Sie ziehen sich von der Kärntner Grenze bis in die Provinz Verona herunter. Am besten hat sich das Zimbrisch im 300-Seelen-Dorf Lusern gehalten, das schwer zugänglich auf einer Hochebene im Trentino liegt. Fast aus allen Kehlen der Bewohner schallt noch das jahrhundertealte Idiom. Einen Einwohner von Lusern zu erkennen ist nicht schwer, denn sie heißen zu neunzig Prozent Nicolussi oder Gasperi mit Nachnamen. Und natürlich verwenden die Zimbern nicht die offiziellen italienischen Ortsnamen ihrer Heimatgemeinden. Giazza zum Beispiel nennen sie Ljetzan, Fozza heißt Vütsche, und Timau trägt den herrlichen Namen Tischlbong. Natürlich ist das Zimbrische aufgrund der weit auseinanderliegenden Sprachinseln ein wenig uneinheitlich geraten. Deswegen wird es in weitere Untereinheiten kategorisiert, der Dialekt in Tischlbong nennt sich allen Ernstes »Tischlbongarisch«! Insgesamt wird Zimbrisch aktuell von mehreren Tausend Menschen im Alltag gesprochen, was aber nicht dafür genügt, als offizielle Amtssprache in Italien zu gelten.
    Europäischer Rekordhalter, wenn man Amtssprachen mit der Bevölkerungszahl in Relation setzt, ist wohl die Schweiz: 7,7 Millionen Bewohner haben gleich die Wahl zwischen vier, wovon Rätoromanisch die mit Abstand kleinste ist. Nur etwa 35000 Schweizer gaben sie bei der letzten Volkszählung als ihre Hauptsprache an, jeder von ihnen übrigens auch des Deutschen mächtig. 35000 sind weniger Menschen als zum Beispiel in Schwäbisch Hall wohnen, aber um sie wird ein rechter Rummel veranstaltet. Rätoromanische Aufdrucke finden sich auf jedem Schweizer Geldschein, auf jedem Reisepass und natürlich jedem Führerschein. Einzig Zigarettenpackungen wurden verschont, weil mit viersprachigen Warnhinweisen wohl gar kein Platz mehr für ein Logo geblieben wäre.
    Nun ist es nicht etwa so, dass diese berühmten 35000 ein Rätoromanisch sprächen, das wäre den Schweizern zu popelig. Stattdessen existieren fünf bisweilen recht verschiedene Untersprachen, nämlich Sursilvan, Sutsilvan, Surmiran, Putér und Vallader. Das bedeutet: In jedem Tal, hinter jedem Pass, quasi nach jeder Kurve wird schon wieder anders gesprochen. Und die Schweiz wäre nicht die Schweiz, wenn nicht in jedem Dorf die Verkehrsschilder und die amtlichen Bekanntmachungen in der jeweiligen Mikrosprache verfasst wären. Um den Unterschied zu illustrieren, hier mal das Wort »Hund« in allen fünf Untersprachen: »tgaun«, »tgàn«, »tgang«, »chaun«, »chan«. Und weil es so schön ist, spendiere ich noch eine Runde, diesmal mit dem Personalpronomen »ich«: »jeu«, »jou«, »ja«, »eau«, »eu«. Anhand der Energie, die die Schweiz in die Erhaltung dieser Sprachen steckt, lässt sich bemessen, wie gering die sonstigen Probleme der Eidgenossen sein müssen.
    Was nicht heißen soll, dass die Schweiz frei von Konflikten wäre. Eine schwerwiegende Auseinandersetzung führte 1979 sogar zu einer Kantonsabspaltung – kein Thema für die Seite eins der deutschen Tagespresse, aber dennoch bemerkenswert. Der Grund war auch hier ein Sprachenstreit, der nicht weniger erbittert geführt wurde als der in Belgien von Flamen und Wallonen. Der heutige Kanton Jura gehörte bis zu seiner Abspaltung zum Kanton Bern. Die Berner sprechen zwar langsam, aber Deutsch. Im Jura bestellt man seine Ovomaltine auf Französisch. Beim Wiener Kongress 1815 wurde die Zugehörigkeit des Juras zu Bern beschlossen und damit der Dampfdrucktopf quasi auf die Herdplatte gestellt. Neben vielen kleinen Spannungen erregte 1947 die sogenannte Moeckli-Affäre die Gemüter. Georges Moeckli wollte die Leitung des kantonalen Bau-Départements übernehmen, war aber – anders als sein Nachname vermuten lässt – französischsprachig. Sein Ansinnen wurde mit der Begründung abgelehnt, das Amt sei zu wichtig für jemanden, der nicht Deutsch spricht. Der Große Rat des Kantons Bern stimmte gegen ihn. Na, da war der Bock aber fett im Jura – und eine ernsthafte Separatistenbewegung begann. Bevor der Laden hochging, wurde Ende der Siebziger per Volksabstimmung die Loslösung von Bern beschlossen, seitdem hat die liebe Seele Ruh’ – und das Nummernschild JU.
    Mal abgesehen vom Kanton – die Schweizer Autokennzeichen spielen ganz weit vorne mit in der weltweiten Nummernschildliga. Links das Nationalwappen, rechts das Hoheitszeichen des Kantons, das ist bunt und fröhlich, aber ohne zu übertriebenes folkloristisches Chichi. Und der größte

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